Mitten im neu entstandenen Europaviertel samt seiner neofaschistischen Architektur steht sie, die Stadtbibliothek Stuttgart. Auf den ersten Blick wirkt der große weiße Klotz genauso wenig attraktiv wie seine direkte Umgebung. Doch die Stadtbibliothek birgt viele interessante Funktionen und Geheimnisse. In einer von den Jungen Verlagsmenschen Stuttgart organisierten Führung gibt Inka Jessen, die Leiterin der Stadtbibliothek am Mailänder Platz, schmunzelnd zu: „Das Gebäude erklärt sich nicht ganz von allein. Das soll aber auch so sein.“
Entworfen wurde die im Oktober 2011 eröffnete Stadtbibliothek von dem koreanischen Architekt Eun Young Yi. Das „Herz“ im Zentrum des Baus, das bei der Ausschreibung zu den Auflagen gehörte, interpretierte er „asiatisch“, wie Jessen erklärt, darüber hinaus ist es aber auch an das Pantheon in Rom angelehnt. Der große quadratische Raum, den außer einem kleinen Quell nichts ziert, erstreckt sich über drei Stockwerke. Ab dem vierten beginnt der Galeriesaal, der wiederrum eine Hommage an die Nationalbibliothek in Paris ist. „Die Bibliothek vereint Tradition mit Innovation“, so Jessen. Sie ist für das gesamte Quartier von großer Bedeutung: Umgeben von Banken, Konsumtempeln und Büros stellt sie das kulturelle Zentrum dar.

Inka Jessen führt durch die verschiedenen Stockwerke und erläutert die Besonderheiten des Gebäudes: Die Ausleihe im Foyer funktioniert über Radiofrequenz; das bedeutet, dass alle Medien auf einen Schlag gebucht werden können. Auch die Rückgabe ist kaum komplizierter: Ähnlich wie bei einem Flaschenautomaten verschwinden die Bücher über ein Laufband und werden dann automatisch von insgesamt 92 kleinen Wägelchen sortiert – die Medien, die zum Haus gehören, werden von den Buchtransportern in die jeweiligen Stockwerke gefahren, die Medien, die aus den Stadtteilbibliotheken stammen, in Containern gesammelt. Übrigens: Inzwischen hat die 19. Stadtteilbibliothek eröffnet, zudem fahren zwei Bücherbusse 22 Haltestellen an.
Im Eingangsbereich der Stadtbibliothek gibt es regelmäßig sogenannte „Mikrolesungen“ mit Nachwuchsautoren, an denen nur acht Zuschauer teilnehmen können, die aber gefilmt und auf Bildschirmen im Foyer ausgestrahlt werden. Einer der vier Eingänge, die zu allen Himmelsrichtungen weisen, ist zugleich die „Bibliothek für Schlaflose“, in der eine Auswahl an Büchern rund um die Uhr zum Ausleihen bereitliegt. Das erste Stockwerk, das den Bereich Musik beherbergt, punktet vor allem mit dem Klangstudio, in dem die Besucher eigene Musik komponieren oder ihre Vinyls digitalisieren können. Ein Stockwerk weiter oben befindet sich die Kinderbibliothek. Auch für die Kleinen werden gerne Events veranstaltet. „Es gab für die Kids schon Lesungen in Gebärdensprache!“, sagt Jessen. Und gemeinsam mit dem Projekt Buchkinder Stuttgart kreieren Grundschüler ihre selbstausgedachten und -gestalteten Bilderbücher, die in der Stadtbibliothek ausgestellt werden.
Der Galeriesaal, der vom vierten bis zum achten Stock reicht, ist natürlich das Prunkstück des Gebäudes. „Er gehört zu den meistfotografierten Orten Stuttgarts“, verrät Leiterin Jessen. Hier erklärt sich auch, warum die Stadtbibliothek in kühlem Weiß gehalten ist: „Die Farbe kommt von den Büchern!“. Im Galeriesaal kann sogar geheiratet werden – ein Angebot, das durchaus angenommen wird. Auch im obersten Stock überrascht die Bibliothek, denn dort ist die Graphothek, die 4.000 verschiedene Kunstdrucke führt. „Vor allem Anwälte und Ärzte, aber auch Privatpersonen leihen sich gerne Bilder aus oder lassen sich kleine Ausstellungen kuratieren.“ Zuletzt liegt neben der Graphothek das Café LesBar – übrigens ein Inklusionsprojekt.
Über Schönheit lässt sich streiten. Und ja, die Stadtbibliothek am Mailänder Platz bietet nicht wenig Angriffsfläche. Aber zumindest gut durchdacht und hochinteressant ist sie. Ganz ohne Streit.

Danke für den Besuch und die Darstellung. Alle guten Wünsche für die Stadtbibliothek: viele Leser und Besucher, viele gute Leseerlebnisse.
Wie steht es in Stuttgart mit Gebühren für einen Leseausweis? In Nürnberg haben wir gerade eine neue Diskussion darüber. Über Jahrzehnte galt Gebührenfreiheit; dann gab es eine Gebühr, die vor einiger Zeit abgeschafft wurde, und jetzt möglicherweise wieder kommt … Ich bin für Lese- und Gebührenfreiheit.
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Die Jahresgebühr in Stuttgart beträgt 20 Euro, in Frankfurt übrigens auch. Ich finde, das geht eigentlich.
Wie hoch war sie in Nürnberg?
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Über sehr lange Zeit gab es gar keine Jahresgebühr. In den 2000er Jahren dann 12 Euro pro Jahr – 2013 wieder ausgesetzt mit Erhöhung der Gebühren für Verlängerungen sowie verspätete Rückgabe und Vormerkungen. Nun hat der Stadtrat einen Prüfauftrag beschlossen. Im Gespräch sind 15 Euro pro Jahr. Das ist tatsächlich für Normalverdiener machbar. Für Geringverdiener oder Nichtverdiener wird das heißen Abmeldung, Ausleihe über die kostenlose Karte der Kinder oder die Karte von Bekannten beziehungsweise keine Ausleihe mehr. Um weiterhin eine geringverdienende oder auch bildungsferne Leserschaft zu erreichen, plädiere ich für die Gebührenfreiheit. Gegen einen Spendenaufruf an die zahlungskräftige Leserschaft habe ich keine Einwände und kann mir auch einen eigenen freiwilligen Beitrag vorstellen.
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Die Bibliothek für Schlaflose ist ja großartig! :-) Das sollte es auch in Frankfurt geben.
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Bibliotheken haben was. Diese auch. Wenn ich mal nach Stuttgart komme… (neofaschistisch???)
https://litterae-artesque.blogspot.com/2018/12/bucher-in-aller-welt.html#more
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