Die Geschichte des Baskenlands und der ETA

Im Norden Spaniens, zwischen dem Golf von Vizcaya und den Pyrenäen, leben die Basken. Wie groß das Baskenland einst war und wie weit verbreitet das Euskera ist bis heute nicht eindeutig belegbar, ebenso wenig wie die Herkunft dieser ältesten noch existierenden Sprache Europas. Dank der relativen Unwirtschaftlichkeit und der Abgelegenheit ihres Landes blieben die Basken von größeren Eroberungsversuchen oder Kriegen verschont. Im 9. Jahrhundert wur­de mit dem Fürstentum Pamplona zum ersten Mal politisch gesehen eine Un­­ab­hängigkeit der Basken etabliert. Später wandelte sich das Fürstentum mit den anderen nord­spanischen Provinzen (außer Katalonien) zum Königreich Navarra. Nach Erb­folge­kriegen zerbrach das Königreich im 11. Jahrhundert und ging an Frankreich, um im 14. Jahr­hun­dert erneut die Souveränität zu erlangen und im 16. Jahrhundert endgültig an Spanien zu fallen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schritt die In­dus­tri­alisierung im Baskenland stärker voran als in den meisten Provinzen Spaniens. Deswegen gab es große Immigrationswellen, die dazu beitrugen, dass die baskische Sprache allmählich in Vergessenheit geriet. In dieser Epoche gründete Sabino Arana Goiri am 31. Juli 1895 die baskische Nationalpartei Partido Nacio­nal Vasco (PNV). Er legte als Erster eine provinz­über­grei­fende Grammatik des Euskera fest (zuvor war das Baskische in viele uneinheitliche Dialekte zersplittert), entwarf die baskische Flagge Ikurriña und schrieb die Hymne des Baskenlands. Für Sabino Arana definierte sich anders als bei der ETA später das Baskisch sein über die Ab­stammung aus einer „reinen” baskischen Familie und der Geburt in Euskadi.

Am 01. April 1939 siegte der Francisco Franco im Spanischen Bürgerkrieg und herrschte bis zu seinem Tod am 20. November 1975 über Spanien. Unter den re­pressiven Verhältnissen der Diktatur konstituierte sich die ETA am 31. Juli 1959, genau 64 Jahre nach der Gründung der PNV. Die ETA, also Euskadi Ta Askatasuna, „Baskenland und die Freiheit“, hatte zum Ziel, die drei heute als Baskenland anerkannten Provinzen Gipuzkoa, Araba und Bizkaia, außerdem die drei baskischen Provinzen in Frankreich und Pamplona als Groß-Baskenland zur Unabhängigkeit zu führen. Der gängige Überbegriff für den linken baskischen Nationalismus, der aber nicht synonym mit der ETA zu verstehen ist, sondern auch gemäßigtere patriotische Un­ab­­hängigkeitsströmungen umschreibt, lautet izquierda abertzale, abgekürzt abertzale („Patriot”).

Das größte Problem der durch den Terrorismus Betroffenen ist die überschaubare Größe des Baskenlandes. Die Opfer werden durch Bekannte oder Nachbarn überwacht und bedroht, ohne genau zu wissen, wem sie vertrauen können. Oft kommt es vor, dass ETA-Mörder nach der Ent­­lassung aus dem Gefängnis in die alten Wohnungen zurückkehren und mit den Angehörigen ihrer Opfer in derselben Straße oder gar demselben Haus wohnen. Viele Plätze oder Straßen sind nach verstorbenen Etarras, den „Volkshelden”, benannt und werden nur langsam und nur dank Bür­ger­initiativen umgetauft. Die ETA finanziert sich hauptsächlich über die von ihr so bezeichnete „Revolutionssteuerˮ, ein Schutz­­geld, das normalerweise von vermeintlich reichen Basken gefordert wird, auch im Ausland lebende Basken werden erpresst. Andere Arten der Finanzierung sind Spen­den von Sympathisanten; diese sind in den letzten Jahrzehnten jedoch stark zurückgegangen.

1967 wurde der bewaffnete Kampf mit Bombenlegungen und Banküberfällen aufgenommen. Im Jahr darauf kam es am 07. Juni 1968 zur ersten Eskalation der Gewalt, als ein rang­hohes ETA-Mitglied einen Polizisten der Guardia Civil erschoss und im Gegenzug selbst umgebracht wurde. Fünf Jahre später geschah der „bedeutendste” und spektakulärste Mord in der Geschichte der ETA. Am 20. Dezember 1973 wurde Luis Carrero Blanco, Ministerpräsident und Francos de­sig­nierter Nachfolger, durch eine Autobombe in Madrid getötet. Der Mord an Carrero Blanco fand nicht nur unter den Basken breite Zustimmung, auch Katalanen und alle Gegner des Regimes befürworteten den Anschlag. Es gilt als gesichert, dass dies einer der ausschlaggebenden Gründe war, warum nach Francos Tod knapp zwei Jahre später die Diktatur zerfiel und somit der Weg in die Demokratie geebnet wurde.

Die ETA bestand in den frühen Sechzigern aus einer kleinen Gruppe von Studenten und war in den Siebzigern die politische Anlaufstelle für rebellierende Jugendliche, nach Francos Tod wandelte sie sich in eine ultranationalistische Gruppe und wandte sich von ihren sozialistischen Idealen ab. Die Gewalt wurde zunehmend will­kür­lich; während zwischen 1968 bis 1977 nie mehr als zwanzig Morde jährlich verübt wurden, eskalierte ab 1977 die Heftigkeit und Art der Attentate. In den Achtzigern gab es 417 Tote durch Hand der ETA, in den Jahren der Diktatur insgesamt „nur” 45 Todesopfer.

1979 erhielt das Baskenland das, was sich alle gemäßigten Nationalisten und das Gros des Volkes erwünscht hatte: das Autonomie-Statut. Euskadi wurden mehrere Sonderrechte zuge­sprochen, Baskisch zur offiziellen Sprache erklärt und die bereits unter Franco gegründeten baskischen Schulen Ikastolas legalisiert. Das Baskenland hat zudem, anders als Katalonien, steuerliche Unabhängigkeit von Madrid. Eine vollständige Au­to­­nomie und Lösung vom spanischen Staat gab es aber nicht. Obgleich die ETA mit diesem Kom­promiss ihre Legitimation in den Augen der meisten Basken verlor, folgte dem Auto­nomie-Statut als Form des Protests eine regelrechte Terrorkampagne der ETA. Allein 1979 wurden 203 Morde verübt.

Ein weiteres wichtiges Kapitel in der Geschichte der ETA spielen die GAL, die Grupos Antiterroristas de Liberación. Diese paramilitärische Todesschwadron wurde von der spanischen Regierung gesteuert und finanziert. Zwischen 1983 bis 1987 brachte sie 28 Menschen um, von denen einige in keinerlei Verbindung mit der ETA stan­den und andere nur kleine Handlanger oder Sympathisanten waren. Der Innenminister sowie andere Staatsbeamte wurden bei der Auf­dec­kung der Hintermänner zu hohen Haftstrafen verurteilt, bis heute konnte der oberste Befehls­haber allerdings nicht ermittelt werden. Nicht wenige vermuten, dass der damals amtieren­de Mi­nis­terpräsident Felipe González von der PSOE der Drahtzieher war. Durch diese mit staat­lichen Mitteln finanzierten Ermordungen stieg das Ansehen der ETA bei den Bürgern wieder.

Spätestens ab den Neunzigern jedoch nahm die Beliebtheit der ETA endgültig ab, vor allem zwei grausige Taten aus dem Jahre 1997 führten dazu, dass sich die meisten Basken von ihr abwandten. 2010 verkündigte die ETA (erneut) einen Waffenstillstand, der in den Jahren darauf mehrfach vertieft und bestätigt wurde. Noch ist die ETA nicht aufgelöst, aber sie steht kurz davor. Und die Angst in Spanien schwindet: „Ocho Apellidos Vascos“ (auf Deutsch mit dem unsäglichen Titel „Acht Namen für die Liebe“ übersetzt) von 2014 war der erfolgreichste spanische Film aller Zeiten. Er handelt von einem Andalusier, der sich in eine Baskin verliebt und zum ersten Mal in seinem Leben das gefürchtete Baskenland bereist. Über sämtliche Spanien-, Baskenland- und Terrorismusklischees konnte das gesamte Land herzlich lachen.

Anmerkung: Diesen Text habe ich meiner Magisterarbeit entnommen und stark gekürzt. Zum einen erklärt das, warum der Fokus auf der ETA und nicht der Geschichte des Baskenlands generell liegt. Da sich aktuelle baskische Literatur fast ausschließlich mit den Ereignissen nach 1936, dem Beginn des Bürgerkriegs, auseinandersetzt, ist eine ausführliche Darlegung der Geschichte für diesen Blog auch nicht nötig. Zum anderen gibt es für alle Aussagen, Daten und Zahlen in dem Text genug Belege – wen das wirklich interessiert, der soll mir schreiben!


6 Gedanken zu “Die Geschichte des Baskenlands und der ETA

  1. Hallo Isabella,
    danke für Deine eindrucksvolle Schilderung der aktuelllen Situation im Baskenland und Katalonien. Lass Deine Leser*innen gerne weiter teilhaben, damit wir dies besser verstehen.
    Herzliche Wünsche und Grüße, Bernd

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  2. Super Einführung in die – wie ich finde – komplizierte Geschichte des Baskenlandes. Ich will demnächst nämlich „Patria“ lesen von Aramburu. Jetzt werde ich es viel besser verstehen. Lieben Dank.

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  3. Danke dir :-) Ich habe jetzt etwa die Hälfte gelesen und bin absolut begeistert, aber auch froh um mein umfangreiches Hintergrundwissen. Der Verlag hat die (mutige und wie ich sehe richtige) Entscheidung getroffen, viele baskische Begriffe nicht zu erläutern, auch die GAL wird nicht erklärt und eine Konnotationen, z.B. wenn einer der Protagonisten mit seinem Freund in der Calle Juan de Bilbao ist, bleiben den Lesern verborgen, die sich nicht mit San Sebastián auskennen (die Juan de Bilbao ist die „Straße der ETA“ oder, etwas weniger verfänglich, „Straße der abertzale“ – ein Begriff, der auch nicht weiter erläutert wird). Vielleicht erstelle ich ein kleines Glossar, mal überlegen.

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