Rebecca Solnit – Wenn Männer mir die Welt erklären

Jede Frau kennt die Situation, in der sie von einem Mann auf paternalistische Weise einen Sachverhalt erklärt bekommt, dessen sie selbst kundig ist oder besser kennt als derjenige, der doziert. Rebecca Solnit wurde sogar ihr eigenes Buch nacherzählt, was sie zu dem Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“ inspirierte, zu finden im gleichnamigen Band mit weiteren Reflexionen über Feminismus, Sexismus und Geschlechterrollen.

„Letzten Sommer schrieb mir ein junger Mann, um mir von einem Kurs im College zu berichten, in dem Studentinnen gefragt wurden, wie sie sich vor Vergewaltigungen schützten. Die jungen Frauen beschrieben ausgeklügelte Manöver, wie sie die Augen offen hielten, ihren Zugang zur Welt einschränkten, Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und ganz generell ständig an Vergewaltigung dachten (während den jungen Männern im Kurs vor Staunen der Mund offen stand, wie er hinzufügte).“

Lange bevor ein Mann trotz offen zur Schau getragenen sexistischen Verhaltens zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde und lange bevor die #metoo-Bewegung Hollywood veränderte, setzte sich die US-amerikanische Journalistin Rebecca Solnit (The Guardian, Harper’s Magazine) bereits mit der Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft auseinander. „Wenn Männer mir die Welt erklären“ versammelt Solnits Essays aus den Jahren 2008 bis 2014, teilweise mit Witz, teilweise mit Wut verfasst, in denen sie offen zur Schau getragenen sowie subtilen Sexismus von alltäglichen Situationen bis hin zu den zahlreichen Vergewaltigungen, gleich ob in Indien oder den USA, gekonnt analysiert. Sie bezieht sich zwar hauptsächlich auf die US-amerikanische Gesellschaft und führt entsprechende Statistiken an, ihre Beobachtungen sind aber auf alle westlichen Gesellschaften übertragbar.

Vom Frauen unterbrechen, ihnen nicht zuhören oder nicht glauben bis zur Vergewaltigung ist natürlich ein großer Sprung. Allerdings, sagt Solnit, verweist dies alles auf ein gesellschaftliches Problem und die deutlichen, nach wie vor existierenden Hierarchien zwischen den Geschlechtern – und ist somit weniger weit voneinander entfernt, als es zunächst scheint. Frauen die Glaubwürdigkeit abzusprechen ist in genau diesem Kontext sogar gefährlich, wenn eine angezeigte Vergewaltigung angezweifelt wird, denn „wie der Rassismus kann auch die Frauenfeindlichkeit niemals allein von den Opfern her bekämpft werden.“

Die Autorin analysiert unsere (beziehungsweise die US-amerikanische) Gesellschaft als eine Gesellschaft der Rape Culture, ein Begriff, der im Jahr 2018 inzwischen zum gängigen Sprachgebrauch gehört. Solnit erzählt eine Anekdote: Die Diskrepanz zwischen den Geschlechterrollen zeigen die Reaktionen auf ein (aus Witz) an einem College aufgehängtem Plakat, das besagte, Männer sollten nach Einbruch der Nacht Campusverbot haben – analog zu den allzu häufig formulierten Forderungen und von Frauen internalisierten Vorsichtsmaßnahmen, Frauen sollen keine kurzen Röcke tragen und aufpassen, wo sie sich zu welchen Uhrzeiten bewegen (oder am besten zu Hause bleiben). „Die Logik dahinter war die gleiche, aber die Männer schockierte es, dass man von ihnen verlangte zu verschwinden, Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und Teilhabe hinzunehmen, nur weil ein Mann gewalttätig geworden war.“

„Wenn Männer mir die Welt erklären“ ist keine Abrechnung Solnits mit Männern, die Autorin betont an mehreren Stellen, dass sie ganz tolle Männer in ihrem Umfeld hat und vielmehr die Geschlechterrollen und nicht die Geschlechter unter die Lupe nimmt. Und doch: Wenn Gewalt ausgeführt wird, sind die Täter fast immer männlich – neunzig Prozent aller Straftäter sind Männer.

Die Essays sind nur wenige Jahre alt, dennoch kann man aus heutiger Perspektive einige Aussagen infrage stellen. So erwähnt Solnit mehrere „Sexskandale“ mächtiger Männer in den USA – spielt dabei unter anderem auf Bill Clinton an – und nennt sie „mutmaßlich einvernehmlich“. Der progressive Feminismus heute ist aber schon einen Schritt weiter: Selbst wenn eine Frau dem sexuellen Akt zustimmt, ist dieser bei deutlichen hierarchischen Unterschieden nicht einvernehmlich – schon gar nicht, wenn es sich um das eklatante Machtgefälle zwischen einem Staatsoberhaupt und einer Praktikantin handelt. Auch der Ausdruck „Sexskandal“, um sexuellen Missbrauch (gleich welcher Form) zu beschreiben, ist mehr als überholt, wobei dieser Fehlgriff, da es sich um eine Übersetzung handelt, nicht unbedingt bei Rebecca Solnit liegt. Von diesen Einschränkungen abgesehen finden sich in „Wenn Männer mir die Welt erklären“ gut geschriebene Essays, die interessante Gedanken formulieren, einen zugänglichen Einstieg in das Thema Feminismus bieten und die deutlich zeigen: Im Laufe der Jahre hat sich für Frauen einiges verbessert, aber noch lange nicht genug.

Zum Weiterelesen: Laurie Penny – Bitch Doktrin

Rebecca Solnit – Wenn Männer mir die Welt erklären
Aus dem Englischen von Kathrin Razum und Bettina Münch
Deutsche Erstausgabe erschienen bei Hoffmann und Campe, 2015
btb, München
Januar 2017, 180 Seiten

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5 Gedanken zu “Rebecca Solnit – Wenn Männer mir die Welt erklären

  1. Du schreibst, da ist ein Sprung (zwischen Frauen unterbrechen und Vergewaltigung). Mag sein, dass es eine Skala von Missachtung gibt. Ich finde aber, das fängt schon bei der Kommunikation an. Ich hoffe aber, dass dadurch, dass wir uns dieser Muster und Strukturen bewusst werden und sie sogar benennen und anprangern, das Machtgefälle sich allmählich verändern wird. Für unsere Söhne und Töchter wäre das sehr wünschenswert!

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    1. Ja, ich sehe das auch so und Rebecca Solnit übrigens auch. Man kann „Mansplaining“ und Vergewaltigung wahrlich nicht gleichsetzen, aber generell ist das ein Problem, dessen wir uns endlich bewusst werden sollten.

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      1. Leider wird das von einigen Männern und Frauen im rechten Spektrum aber genauso wahrgenommen, nämlich, dass der Feminismus leichte Bagatell-Pfiffe und groben Missbrauch gleichsetzen würde. Darum geifern sie so dagegen.

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  2. Schön wie du auf die aktuellen Entwicklungen eingegangen bist.
    Da sieht man richtig, dass tatsächlich endlich wieder etwas vorwärts geht, nachdem ja jahrzehntelang (oder kommt es mir nur so vor?) nicht wirklich viel passiert ist. Ich habe das Buch tatsächlich noch vor #MeToo gelesen und finde es richtig toll, dass es seitdem zu so viel Sichtbarkeit der Debatte gekommen ist, auch wenn wir lange noch nicht am Ende sind.

    Liebe Grüße, Anja

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