Im Blick: Herbst 2018

Etwas spät reiche ich nun auch meine Entdeckungen aus den Vorschauen der Herbstprogramme nach – so spät, dass einige der Bücher bereits erschienen sind. Aber das hat natürlich den Vorteil, dass man nicht warten muss. Champagner und Feuerwerk!

Lateinamerika

Mein absolutes Highlight des Herbstes ist „Der Wilde“ von Guillermo Arriaga (Klett-Cotta, 27.10.); das weiß ich so sicher, weil ich dieses Epos größtenteils schon gelesen habe. Und deswegen kann ich auch guten Gewissens sagen: Wie man sich in der lateinamerikanischen Literatur früher auf Gabriel García Márquez und inzwischen auf Roberto Bolaño beruft, so wird die Reference of Choice zukünftig Arriaga sein, garantiert. Der Autor dürfte Cineasten bereits bestens bekannt sein, er ist nämlich der Drehbuchautor von Filmen wie „Amores Perros“, „21 Gramm“ und „Babel“. Sein Roman spielt größtenteils in Mexiko-Stadt und teilweise im Norden Kanadas und behandelt die Themen Schuld, Rache, Liebe, Gewalt und Tod.

Auch auf den neuen Roman aus der Feder des von mir sehr geschätzten Juan Gabriel Vásquez freue ich mich: „Die Gestalt der Ruinen“ (Schöffling, 18.09.) ist ein politischer Thrillerroman (wenn ich dieses Genre spontan mal erfinden darf), der mit dem Attentat auf den Politiker Jorge Eliécer Gaitán beginnt, ein Mord, auf den ein zehn Jahre andauernder Bürgerkrieg folgte. Mit Antonio Ruiz-Camacho und „Denn sie sterben jung“ (Beck, bereits erschienen) geht es zurück nach Mexiko und in die USA. Der Autor selbst ist ein Grenzgänger: Er wurde zwar in Mexiko geboren, schreibt aber auf Englisch. Seine zusammenhängenden Kurzgeschichten schildern das Leben einer in alle Himmelsrichtungen versprengte Familie. Experimentell wird es bei Alejandro Zambra: Der chilenische Autor hat ein philosophisches „Multiple Choice“ (Suhrkamp, 12.11.) entworfen. Ob das Max Frischs „Fragebogen“ ähnelt?

USA

Der Kampa Verlag geht mit seinem ersten Programm an den Start und ein Buch sprang mir in der Vorschau besonders ins Auge: „Nur ein Mal“ von Kathleen Collins (04.10. und liebe Kampisten, wann gibt’s die Titel auf eurer Website zum Verlinken?). Collins war eine Aktivistin der Bürgerrechtsbewegung und, ähnlich wie James Baldwin, lange vergessen, bis ihr Film „Losing Ground“ vor drei Jahren wiederentdeckt wurde. Aus dem Nachlass stellte ihre Tochter daraufhin einen Kurzgeschichtenband zusammen, den Kampa nun auf Deutsch herausbringt. Und wo wir beim Thema wären: Auch von James Baldwin gibt es ein neues Buch, nämlich „Beale Street Blues“ (dtv, bereits erschienen). Während ich wohl eine der wenigen bin, die mit „Von dieser Welt“ nichts anfangen konnten, schätze ich Baldwins Werk, wenn es sich nicht primär um Religion dreht, sehr. Ein weiterer Autor und ein weiterer Roman, der sich dem Thema Rassismus in den USA annimmt, ist Paul Beatty mit „Der Verräter“ (Luchterhand, 15.10.), für den er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde.

In eine meiner Lieblingsstädte geht es dank „Manhattan Beach“ (Fischer, 29.08.) von Jennifer Egan, die über die New Yorker Unterschicht der dreißiger und vierziger Jahre schreibt. New York ist auch das Setting von Siri Hustvedts Roman „Damals“ (Rowohlt, 05.03.19), in dem es ziemlich rau zugeht. Zeitgleich erscheint zudem Hustvedts Essaysammlung über Kunst und Geschlechterrollen mit dem schönen Titel „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“.

Deutschland

Unter den deutschsprachigen Schriftstellern klingt das Debüt von Lukas Rietzschel für mich aus drei Gründen spannend: Zum einen behandelt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ (Ullstein, 07.09.) die Tristesse der sächsischen Provinz und liefert vielleicht Aufschluss darüber, was dort alles schiefläuft, zum anderen hat der junge Autor positive Blurbs von Jan Brandt und Philipp Winkler bekommen. Und nicht zuletzt darf ich bei der Blogger- und Pressereise, die der Verlag organisiert, teilnehmen und Rietzschels Wahlheimat Görlitz kennenlernen. Ebenfalls um die Tristesse der Provinz, nur auf der anderen Seite Deutschlands, im Schwäbischen Wald, geht es bei Kai Wieland: „Amerika“ (Klett-Cotta, 30.08.) zeigt, wie widersprüchlich Erinnerungen sein können. Wieland ist den meisten Bloggerkollegen von der ersten Blogbuster-Staffel bekannt und wurde damals von Sonja Graus entdeckt. Einmal über den Ozean geht es nach Argentinien mit „Nachtleuchten“ (Fischer, 15.08.) von María Cecilia Barbetta. Barbetta schreibt zwar auf Deutsch, könnte aber getrost in die Kategorie „lateinamerikanische Literatur“ passen; ihr Roman porträtiert das Leben in einem Viertel von Buenos Aires.

Sachbuch

Die US-amerikanisch-mexikanische Grenze ist nicht nur in der Tagespresse, sondern auch in der Buchbranche angekommen. Gleich mehrere Sachbücher analysieren die Gegenwart oder liefern einen historischen Abriss dieses Konfliktraums: Jeanette Erazo Heufelder begibt sich in „Welcome To Borderland“ (Berenberg, 11.09.) an die Grenze, während Juan Pablo Villalobos in „Ich hatte einen Traum“ (Berenberg, 11.09.) jugendliche Migranten in den USA nach ihren Erfahrungen befragt. Andreas Altmann reist in seinem Buch „In Mexiko“ (Piper, 02.10.) durch – exactly! – Mexiko und Francisco Cantú berichtet in „No Man’s Land“ (Hanser, bereits erschienen) von seinen eigenen Erfahrungen bei der Border Patrol.

Zurück in Deutschland verspricht der Briefwechsel „schreib alles auf, was wahr ist“ (Suhrkamp, 22.10.) zwischen Hans Magnus Enzensberger und Ingeborg Bachmann äußerst interessant zu werden. Und ganz, ganz besonders freue ich mich auf die Biografie einer außergewöhnlichen, schrägen Frau, die trotz ihres deutschen Akzents und eher mäßigem Gesangstalent mit Velvet Underground bekannt wurde: „Nico“ (Rowohlt, 21.08.) von Tobias Lehmkuhl. Nico wird scheinbar gerade wiederentdeckt: Im Moment läuft auch der Film „Nico, 1988“ in den Kinos.


2 Gedanken zu “Im Blick: Herbst 2018

  1. Hallo,

    da ich mir gerade im ersten Überschwang neun Bücher der Buchpreis-Longlist zugelegt habe, die erstmal gelesen werden wollen (wie ich mich kenne, werden die meisten davon nicht auf der Shortlist landen), müssen die Herbstneuerscheinungen etwas warten…

    Auf meine Wunschliste wanders fürs Erste „Nur ein Mal“ und „Der Verräter“, „Nachtleuchten“ durfte bereits hier einziehen.

    LG,
    Mikka
    [ Mikka liest von A bis Z ]

    Like

Hinterlasse einen Kommentar