Von manchen Büchern wünscht man sich, sie zu besprechen hätte keine aktuell dringende Notwendigkeit – wie das, was sich dieser Tage an der Grenze zwischen Mexiko und den USA abspielt. Nie dürfen wir dabei vergessen: Flüchtlinge sind keine Zahlen und Artikel, sondern Menschen mit individuellen Schicksalen. Juan Pablo Villalobos hat in „Ich hatte einen Traum“ einige ihrer Geschichten aufgeschrieben.
„Im Kühlschrank weißt du nie, wie spät es ist. Nicht mal, ob Tag oder Nacht. Der Kühlschrank ist die Zelle, wo du landest, wenn dich die Grenzpolizei schnappt. Sie heißt Kühlschrank, weil es da drin so kalt ist … Es ist so kalt, dass ich Krämpfe in den Beinen kriege, aber das kann auch daran liegen, dass ich die ganze Zeit stehen muss.“
Seit Trump in seinem Wahlkampfpopulismus postulierte, als Präsident werde er eine Mauer zwischen Mexiko und den USA bauen (ein Wahlversprechen, das auch knapp zwei Jahre nach Amtsantritt fern der Verwirklichung ist), ist die Grenze zwischen den beiden Ländern „in“, wieder ein Thema für die Nachrichtenmedien – und den Buchmarkt. In diesem Herbst wurden gleich mehrere Bücher veröffentlicht, die sich im weitesten Sinn mit Mexiko, den USA, Mittelamerika und Migration beschäftigen.
Es ist ungefähr einen Monat her, dass plötzlich aber eine andere Grenze in den Fokus rückte: die zwischen Mexiko (nochmal zum Mitschreiben, da dieser Fehler immer wieder gemacht wird: Mexiko gehört zu Nordamerika) und Mittelamerika, genauer die zwischen Mexiko und Guatemala, die von Flüchtlingen durchbrochen wurde. Denn, Überraschung!, in Ländern wie Honduras, El Salvador oder Guatemala geht es den Menschen noch beschissener als in Mexiko. Das Ziel der Flüchtlinge ist aber nicht Mexiko, sondern ebenfalls die USA. Und die zu erreichen ist für Mittelamerikaner doppelt beschwerlich, Mexiko ist nämlich ein irre großes Land und die Mexikaner von den Mittelamerikanern ungefähr so begeistert wie die US-Amerikaner von den Mexikanern. Wer es also nach Mexiko schafft, hat nur ein Bruchteil der Reise hinter sich. Gefahren lauern überall: Vom Zug fallen, dessen Dach man illegal bestiegen hat, ausgeraubt werden, Vergewaltigung (viele der Frauen und Mädchen spritzen sich vorher Antikonzeptiva, um nicht schwanger zu werden), tödliche Schlangen verhungern, verdursten, Hitze, Kälte, von Narcos verschleppt werden… Sucht es euch aus. Es ist also nicht anders als mit den Flüchtlingen in Europa: Wer sich diesen Gefahren aussetzt, der ist wirklich verzweifelt.
Einige schaffen es, Mexiko zu durchqueren und die US-amerikanische Grenze zu erreichen. Da vor wenigen Wochen Dutzende Migranten nach Mexiko gelangt sind, war es also nur eine Frage der Zeit, bis sie vor den USA auftauchten. Und was macht Trump? Lässt mit Tränengas auf sie schießen, auch auf Kinder, wie am 25. November geschehen. (Nicht zu ignorieren sei hier, dass die mexikanische Polizei wiederrum an ihrer Grenze Pfefferspray einsetzte.) Beatrix von Storch gefällt das.
Diese lange Einleitung ist Teil einer Rezension: Juan Pablo Villalobos, in Mexiko sehr bekannter Schriftsteller, hat für „Ich hatte einen Traum“ jugendliche Migranten aus Mittelamerika interviewt, um auf ihre Schicksale aufmerksam zu machen. Denn obwohl wir es eigentlich wissen, muss man sich vor lauter Zahlen und Statistiken wieder und wieder in Erinnerung rufen, dass es sich um individuelle Menschen und Gründe handelt, die hinter dieser Fluchtbewegung stehen.
Die zehn Kinder und Jugendlichen, mit denen Villalobos gesprochen hat, sind 10, 12, vielleicht 17 Jahre alt, und auf der Flucht vor Armut und Perspektivlosigkeit, vor der Bedrohung durch Gangs wie der Mara Salvatrucha, die Geld erpresst und willkürlich Menschen ermordet, oder auch aus Angst vor Verfolgung wegen Homosexualität. Sie erzählen unterschiedliche Geschichten, die einen von ihrem früheren Leben, die anderen vom Horror ihrer Flucht. Sie erzählen aber auch von ungeahnter Solidarität, die ihnen unterwegs manchmal begegnet, von der Menschlichkeit in den unmenschlichsten Situationen.
Neben diesen Erinnerungen gibt es einen sehr lesenswerten Epilog des New-York-Times-Journalisten Alberto Arce, der Umstände erklärt, Fakten benennt und alles in einen gesellschaftlichen wie historischen Kontext rückt, den (zumindest einen) Ursprung der Gewalt und die Rolle der USA beschreibt, und dadurch die Gefahr in diesen Ländern verdeutlicht: „Sie haben die höchsten Mordraten der Welt. Mordraten, die die Zahlen mancher Länder übertreffen, in denen offener Krieg herrscht … In manchen Städten … in Honduras liegt die Mordrate bei über 100, in San Salvador bei 97 … Zum Vergleich: In Spanien liegt die Rate bei 0,47 Morden pro 100.000 Einwohner.“ Eindringlicher noch als die eher nüchtern geschilderten Erlebnisberichte, die Villalobos dokumentiert, verdeutlicht Arce, aus welch schrecklichen Lebensumständen die Menschen zu fliehen versuchen.
„Ich hatte einen Traum“ liefert wichtige Einblicke in die Leben der jugendlichen Flüchtlinge, auch wenn diese sehr ausschnitthaft sind. Allerdings: Im Anhang wird kurz erläutert, wo die Kids jetzt leben – sie alle sind heil in New York oder Kalifornien angekommen. Für sie gab es ein Happyend. Die vielen, die unterwegs sterben oder zurückgeschickt werden, haben nicht die Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen.
Juan Pablo Villalobos – Ich hatte einen Traum. Jugendliche Grenzgänger in Amerika
Aus dem Spanischen von Carsten Regling
Berenberg, Berlin
September 2018, 94 Seiten
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Die Situation ist schlimm. Sein eigenes Land zu verlassen in der Hoffnung ein besseres Leben zu finden in einem Land, das nun nicht gerade sehr zuwanderungsfreundlich regiert ist. Dies ist auch eine Protestbewegung.
Ich hoffe, dass die Demokraten diesen Präsidenten bei nächster Gelegenheit ablösen können. Ich hoffe auf eine Neubesinnung auf mutlilaterale globale Politik, und darauf, dass der Integrationspakt der Vereinten Nationen von einer neuen US-Regierung unterstützt wird ebenso wie die globalen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals). Danke für den Blick nach Mexiko und viele Grüße
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