Shida Bazyar – Nachts ist es leise in Teheran

Vier Jahrzehnte iranische Geschichte, vier Mitglieder einer Familie, vier verschiedene Perspektiven. Shida Bazyar hat in ihrem politischen Debütroman alles richtig gemacht.

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„Nachts ist es leise in Teheran. Tagsüber so laut. […] Draußen die Straßen, ein schrecklicher Lärm, die überfüllten Fahrbahnen, das Hupen, trotz der Hupen-verboten-Schilder, das Brüllen und Fluchen der Menschen, die schwere Luft, die den Lärm im Kopf zu verursachen scheint, die Abgase, die man einatmet, das ständige Gefühl, etwas Schweres zu sein und etwas Schweres zu tragen.“

Zugegeben, ein bisschen Hintergrundwissen über die Geschichte Irans erleichtert die Lektüre von „Nachts ist es leise in Teheran“ ungemein. Doch auch ohne diese Informationen bekommt der Leser einen sehr guten Einblick in das Leben iranischer Bürger während der Revolution und später im deutschen Exil. Die Protagonisten in Shida Bazyars Debüt sind Behsad, Nahid, Laleh und Mo. Nacheinander erzählen sie insgesamt vierzig Jahre ihres Lebens.

Den Anfang macht Behsad im Jahr 1979. Die Autorin fackelt nicht lange: Gleich auf der ersten Seite wird der Schah gestürzt. Behsad ist ein junger Lehrer und Revolutionär, der nächtelang mit Gleichgesinnten über Politik diskutiert. Erst nach und nach wird ihnen klar, dass sie vom Regen in die Traufe gekommen sind. Der Revolution folgt die Islamische Republik und erneut müssen dissidente Stimmen um ihr Leben fürchten. Behsad geht in den Untergrund.

Dass Behsad wie viele andere fliehen musste, stellt sich im Kapitel aus der Perspektive seiner Frau Nahid im Jahr 1989 heraus. Die zehn Jahre, die zwischen den beiden Teilen liegen, werden durch viele Erinnerungen Nahids rückblickend erzählt. Das Paar lebt mit seinen beiden Kindern im deutschen Exil, mehr schlecht als recht richten sie sich in einer kleinbürgerlichen Kleinstadt ein. Beiden fällt es schwer, mit dem Kulturschock umzugehen. Behsad, der einst Wortführer in Diskussionen war, gibt bei Gesprächen mit einem befreundeten deutschen Paar kaum noch Kontra. Und Nahid, die sich während der Revolution als aufgeweckte, lebhafte Frau präsentierte, hat sich in sich selbst zurückgezogen, ist durch mangelhafte Sprachkenntnisse verstummt. Mit ihrem alten Leben schließt sie nicht ab: „Wann gehen wir zurück?“, fragt Nahid ohne Hoffnung.

Von den sprachlichen Hürden ihrer Eltern kann Laleh in dem stärksten Kapitel, dem Jahr 1999, ein Lied singen. Bazyar zeichnet anhand der 16jährigen das typische Schicksal einer Migrantin in der Kleinstadt: Integriert ist sie, Freunde hat sie gefunden, doch nicht zu selten wird Laleh trotzdem als Ausländerin wahrgenommen, als diejenige, die in einer gestellten politischen Diskussion in der Schule wie selbstverständlich die Position des Irans übernehmen muss, obwohl sie die USA mehr interessiert hätten. Schon als kleines Kind fungiert Laleh als Übersetzerin für ihre Eltern bei Behördengängen und als sie eine 5 nach Hause bringt, wird deutlich: Ihren Lehrern ist ein Gespräch mit den Eltern latent unangenehm und um diese peinlichen Situationen zu vermeiden, darf Laleh nie wieder eine schlechte Note bekommen.

Ihre eigene Herkunft, die Geschichte ihres Landes und die ihrer Eltern, lernt Laleh zu verstehen, als sie mit der kleinen Schwester Tara und ihrer Mutter für drei Wochen nach Teheran reist. Plötzlich ist es Laleh, der die Integration schwer fällt, die Sprachbarrieren hat und Gepflogenheiten nicht kennt. In Teheran bekommt sie eine „gemäßigtere Phase“ des iranischen Regimes mit. “Gemäßigt“ bedeutet, dass sich Frauen und Männer in bevölkerten Cafés hinter abgedunkelten Fensterscheiben heimlich unterhalten dürfen. Unterdrückung und Folter haben sich im Alltag etabliert und werden mit Schulterzucken hingenommen, „[e]ine Freundin von mir hatte lackierte Fingernägel, sagt Ava, sie haben sie ihr rausgerissen. Sie sagt es ohne irgendeine Regung in der Stimme.“ Die iranische Gesellschaft hat sich ins Private zurückgezogen, wo man sich ungestört unterhalten und Frauen sich schminken dürfen. Und immer wieder muss Laleh die Frage beantworten, ob es sich im Iran oder Deutschland besser leben würde, eine schwierige Frage für ein Mädchen, die zwischen zwei Welten Zuhause ist und sich in beiden doch wie ein Fremdkörper fühlt.

Das Jahr 2009 (mit leichten Anachronismen: Yahoo gibt’s noch und Club Mate ist schon en vogue) gebührt Mo, Lalehs jüngerem Bruder und klischeehafter Langzeitstudent. Während sich das Leben Behsads und Nahids in jungen Jahren allein um Politik und Revolution dreht, rücken bei der nachfolgenden Generation die Fragen um politische Gesinnung und Identität in den Hintergrund. Was sich bei Laleh schon bemerkbar macht, wird bei Mo umso deutlicher: Themen wie Liebe und Sex, aber auch Freundschaften oder das Uni-Leben besitzen größere Relevanz. Dabei bleibt Mo nicht unpolitisch, auch er geht auf Demos und diskutiert mit Freunden. Die Politik nimmt in seinem Leben nur weniger Raum ein. Wie Laleh wird auch er, obwohl er inzwischen in der Großstadt Hamburg wohnt, oft genug als Auslänger wahrgenommen. Regelmäßig fragen ihn Fremde nach seiner Herkunft, eine Frage, die ihn ermüdet: „Weil ich keine Lust habe, die Antwort zu geben, die ich schon so verdammt oft gegeben habe, und die noch nie irgendwem irgendeine Klarheit, irgendeine nennenswerte Information, irgendein Gefühl für mich, mein Leben, meine Fragen an die Welt gegeben hat.“ Mehr Bedeutung misst er dem Iran nicht bei, er hat keinen Bezug zu der fern lebenden Familie und auch seine Eltern interessieren ihn relativ wenig.

Doch im Sommer 2009 beginnt die Grüne Bewegung im Iran, die friedlich gegen die manipulierte Wahl, die Ahmedinedschad zum Präsidenten macht, demonstriert. Mo fühlt sich seinen deutschen Freunden entrückt, beobachtet die parallel ablaufende Demonstration gegen Studiengebühren aus der Distanz, sie wirkt so unbedeutend im Vergleich zu dem, was im Iran passiert. Dabei weiß er kaum etwas über die Geschichte Irans. „Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass ich vorgestern noch gegoogelt habe, wann die Islamische Revolution genau war.“ Und doch üben die wackeligen YouTube-Videos einen stärkeren Sog auf ihn aus, als es ein Bildungsstreik je könnte. Mo fühlt er sich schuldig, in seiner behüteten WG zu leben, während andere ihr Leben riskieren.

„Nachts ist es leise in Teheran“ ist ein großartiger Roman, ein sehr starkes Debüt von Shida Bazyar, deren Eltern übrigens selbst vor der Islamischen Republik flohen. Bazyar gelingt es mühelos, ihren vier Protagonisten verschiedene, glaubwürdige Stimmen zu verleihen. Da redet nicht eine Person aus vier Perspektiven, da reden wirklich vier verschiedene Charaktere. Die subjektive Sicht ihrer Figuren hilft dem Leser, sich mit der Geschichte zu identifizieren. Bazyars Roman ist intelligent komponiert und schlüssig in vier gleichwertige Teile aufgebaut, die Sprache ist präzise, kein Wort zu viel.

„Nachts ist es leise in Teheran“ ist Familiengeschichte, Gesellschaftsroman und politischer Roman zugleich. Und auch der aktuelle Bezug bleibt nicht aus. Laleh ist angesichts der Situation, die sie in den 1990ern in Deutschland erlebt, sprachlos: „Was soll ich ihm sonst raten, was soll ich ihm sonst erzählen? Dass die Flüchtlinge in Deutschland weder studieren noch arbeiten können und ihren Wohnort nie verlassen dürfen? Dass sie in Baracken untergebracht werden, die Neonazis anzünden, während die Polizei zuschaut?“ Die Parallelen sind offensichtlich, auch wenn Bazyar es bei diesen Gedanken belässt.

Nach den Jahren 1979, 1989, 1999 und 2009 fehlt eine letzte Perspektive, der Blick in die Zukunft durch die kleine Schwester: Der Epilog des Romans, die letzten drei Seiten, gebühren Tara.

Shida Bazyar – Nachts ist es leise in Teheran
Kiepenheuer & Witsch, Köln
Februar 2016, 284 Seiten

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3 Gedanken zu “Shida Bazyar – Nachts ist es leise in Teheran

  1. Mich hat Bazyars Roman, und dann ist es ja auch noch ein Debüt, auch sehr beeindruckt. Wie sie die vier Stimmen ausgestaltet, wie sie immer wieder im Kleinen das große Ganze erzählt, das ist richtig gute Literatur. Und beeindruckt hat mich auch, wie jede Stimme auf eine andere Art und Weise das Fremdsein, das Entwurzeltsein erfährt und lernen muss, damit zurechtzukommen.
    Viele Grüße, Claudia

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