Auf der Bühne des Literaturhauses Frankfurt sitzen am gestrigen Montagabend drei Männer. Zwei von ihnen sind den Frankfurtern keine Unbekannten, nämlich Jan Wilm von der Goethe-Universität und Torben Kessler vom Schauspiel Frankfurt. Und in der Mitte: ein junger, unscheinbarer Mann in Jeanshemd und Kapuzenpulli. Das soll der neueste Anwärter auf dieses mystische Konstrukt sein, The Great American Novel geschrieben zu haben? Oh ja, denn der Mann ist Garth Risk Hallberg. Sein monumentaler Debütroman heißt „City on Fire“, über den vergangenen Herbst in den USA in allen Medien diskutiert wurde und der jetzt im S. Fischer Verlag erschien. Und sobald Hallberg loslegt, wirkt er auch nicht mehr unscheinbar. Er spricht und liest mit kräftiger Stimme und genauso expressiv sind die Handbewegungen, mit denen er seinen Text untermalt.
Ein Roman mit einer Länge von rund 1000 Seiten kann kaum in einem Satz zusammengefasst werden: „City on Fire“ beschreibt die ausklingenden 1970er Jahre in New York, eine Zeit, in der die Stadt noch nicht an das Geld verloren war, in der das Verbrechen die Straßen beherrschte, zugleich aber die Subkultur florierte wie nie wieder danach. Die Idee zu „City on Fire“, so Hallberg im Gespräch mit Wilm, „characters, scope, events, images, metaphors, and events“, wäre ihm im Jahr 2003 innerhalb von neunzig Sekunden gekommen, als er eine seiner vielen Busfahrten nach New York unternahm. Man könne dies mit dem Bild eines Puzzles beschreiben, bei dem man unzählige Einzelteile habe und nun schauen müsse, wie diese zusammenpassen. Eine schier unmögliche Aufgabe, wie auch Hallberg glaubte – vier Jahre lang sei er vor dem Stoff geflohen, bis er sich im Jahr 2007 an die Arbeit machte: „I learned that fear was part of the process“, antwortet Hallberg Jan Wilm, der mehrfach nach seiner Angst fragt.
Nach den Anschlägen auf die Twin Towers gab es in den USA einen kurzen, kollektiven Moment, in dem alles möglich war. Während sich aber der Rest des Landes bereits wenige Wochen nach 9/11 wieder dem Alltag zuwandte, blieb in New York das Gefühl der Offenheit, das Gefühl „of awareness and meaningfulness“, das Hallberg als nicht schön, aber „intensely alive“ beschreibt. „Inmitten dieser Zerstörung gab es plötzlich so viele Dinge, die möglich schienen”, erklärt Hallberg, und dies sei vergleichbar mit der Stimmung, die in den 1970ern in der Stadt vorherrschte. Doch auch in New York kam irgendwann die Routine zurück und für Hallberg ging der Stadt und den Menschen dadurch etwas verloren. Ungefähr zu dem Zeitpunkt hatte er seine neunzig Sekunden Epiphanie.
Als weiteren New-York-Roman empfiehlt Garth Risk Hallberg übrigens „Open City“ von Teju Cole, der genau wie er in Brooklyn lebt. Hallberg habe, so sagt er, immer das Gefühl gehabt, er müsse etwas „vast, various, and hovering at the edge of chaos“ verfassen, um dieser Stadt gerecht zu werden. Cole hat den gegenteiligen Ansatz: „Open City“ ist ein ruhig erzählter Roman, „pure and contained“, der die Stadt auf eine ganz andere Art beschreibt: Indem ein Mann durch die Straßen läuft und anhand dieses Wegs seine eigene und die Geschichte New Yorks rekapituliert.
Warum er sich ausgerechnet für die 1970er Jahre entschieden habe, fragt Wilm. „To write about 9/11, I had to write about something far away“, erklärt Hallberg. Außerdem seien Romane immer ein “radical amout of compression” und dadurch gesteigert, lebendiger. In den 1970ern jedoch, in dieser Phase voller Zerstörung und Chaos, war sogar das echte Leben fern der Literatur gesteigert und aufregend. „I’ve never seen a boring photo of this era!“
Literaturhaus Frankfurt
14. März 2016
Garth Risk Hallberg – City on Fire (S. Fischer Verlag)
Moderation: Jan Wilm
Deutscher Text: Torben Kessler
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