Ottessa Moshfegh – McGlue

Wer jeden Tag säuft und noch dazu einen gespaltenen Schädel hat, der hat wahrlich gute Gründe, um sich nicht an den Mord an seinem besten Freund erinnern zu können. McGlue, der Antiheld in Ottessa Moshfeghs Debütroman „McGlue“, wird dennoch dazu gezwungen.

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„Es ist wahr, dass mein Gedächtnis durch die Liebe zum Grog viel gelitten hat. Mehr als ein Mal bin ich an Johnsons Seite aufgewachte und hatte keine Erinnerung an ihn oder mich, wie ich dorthin oder irgendwohin gekommen war, oder warum ich im Grunde überhaupt noch lebte.“

Salem, 1851. McGlue ist in Einzelhaft. Ihm wird vorgeworfen, Johnson, seinen einzigen Freund, in Sansibar umgebracht zu haben. McGlue, der in seiner kalten Zelle oft genug mit einer Vision Johnsons spricht, benötigt Monate, um den Tod seines Freundes zu begreifen. Kein Wunder, ist McGlue doch schwerer Alkoholiker auf Entzug und zugleich mit einem offenen Loch in seinem Kopf gezeichnet. Durch diese Kopfverletzung ist er nicht nur im übertragenden Sinne ein gespaltener Mensch. „Hätte ich Schnaps zu vergießen, würde ich ihn mir da oben in den Spalt schütten, damit die Schlangen Ruhe geben“, lamentiert er. Die Schlangen, das sind die Hirngespinste, die McGlue regelmäßig plagen. Neben den Geistern seiner Vergangenheit, die McGlue besuchen, ist die einzige Abwechslung, die die Lethargie seines Gefängnisaufenthalts durchbricht, ein windiger Anwalt, dem McGlue nicht vertraut. Der Anwalt versucht, McGlue zu einem Geständnis zu überreden. Doch dieser zeigt sich wenig kooperativ und verlangt vielmehr nach der erlösenden Flasche Schnaps.

Ottessa Moshfegh, die mit ihrem zweiten Roman „Eileen“ auf der Shortlist des Man Booker Prizes 2016 steht, verleiht ihrem Protagonisten eine direkte, raue Sprache, die nur oberflächlich gelesen einfach scheint. Wichtiger noch als das, was gesagt wird, ist das, was Moshfegh dem Leser vorenthält, was sich zwischen den Zeilen abspielt. McGlue, der lieber den Kopf gegen die Wand knallt, als ohne Betäubung zu leben, ist nicht zuletzt durch seine Familiengeschichte eine vielschichtige Figur. Er ist ein Mörder, ohne dies zu begreifen. Sein Unterbewusstsein, das ihn zwar nicht mit Schuldgefühlen, aber doch mit Erinnerungen quält, lässt in McGlue langsam die Wahrheit reifen.

Durch die subjektive Perspektive McGlues muss sich der Leser auf die fragmentarischen Erinnerungen dieses unzuverlässigen Erzählers verlassen. Rückblickend denkt er an seine Freundschaft mit Johnson, während er zugleich eher nachlässig darum bemüht ist, sich die durchzechte Todesnacht ins Gedächtnis zu rufen. Doch nach und nach wird McGlues Verhalten schlüssig aufgedröselt. Moshfeghs Debütroman schildert nicht primär ein brutales Leben, sondern ist die psychologische Skizze eines gebrochenen Menschen, eines Manns und seines Gefängnisses, seiner persönlichen Hölle.

Ungeachtet dessen ist und bleibt McGlue der größte Alkoholiker, seitdem es Selbstgebrannten gibt. Oder um es mit seinen Worten zu sagen: „Es ist dunkles Blut, und es schmeckt nach Rum. Muss meins sein…“

Ottessa Moshfegh – McGlue
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Liebeskind, München
August 2016, 141 Seiten

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