„Eigentlich“, so beginnt Björn Jager, der Leiter des Hessischen Literaturforums, den Abend mit dem Motto „Debütantenball Deluxe“, „eigentlich wollte ich während der Buchmesse auf gar keinen Fall eine Veranstaltung machen.“ Doch dann erreichte ihn eine E-Mail von Valentin Tritschler, der schrieb, dass Julia Wolf, Maren Kames, Stephan Reich und Philipp Winkler, alle vertreten von der Elisabeth Ruge Agentur, bei der Tritschler arbeitet, Interesse an einer Lesung hätten – das konnte selbst den skeptischen Jager überzeugen.
Malte Kleinjung, ebenfalls vom Hessischen Literaturforum, stellt Maren Kames vor, deren Gedichtband „Halb Pfau halb Taube“ vor zwei Monaten im Secession Verlag erschienen ist. Kames, die fast in ihrem Schal versinkt, erhielt beim open mike 2013 sowohl den Jury- als auch Publikumspreis für Lyrik, war Herausgeberin der Bella Triste und wird im Dezember ein Stipendium im Schloss Solitude in Stuttgart antreten. Ihre Lyrik ist, wie Kleinjung erklärt, eine zweifache Raumerfahrung. Einerseits bezieht sie sich inhaltlich auf die Wahrnehmung von Räumen, andererseits ist das Schriftbild durch viele Leerflächen und Textblöcke geprägt. „Ich bin zuletzt immer mit einem Kontrabass oder Soundsystem aufgetreten“, sagt Kame einleitend, bevor sie ihre Raumerfahrung mit dem Publikum teilt. „Das hier wird eine Unplugged-Lesung.“ Und schlägt ihr Buch auf und beginnt.
Stephan Reichs Debüt „Wenn’s brennt“ über verlorene Jugendliche auf Abwegen erschien Anfang des Jahres bei der DVA. Reich ist sogar dreifach in Sachen Textarbeit unterwegs: Er ist nicht nur Prosaautor, sondern veröffentlichte bereits zwei Jahre zuvor den Lyrikband „Everest“ im Verlagshaus Berlin, außerdem schreibt er als Journalist für das Fußballmagazin 11Freunde. Der Autor ist übrigens gebürtiger Hesse: Valentin Tritschler, der die Anmoderation übernimmt, verrät, dass Reich aus Melsungen, einer Kleinstadt bei Kassel, stammt. Tritschler ist es auch, der das interessanteste Bild des Abends prägt. Die Dramaturgie von „Wenn’s brennt“ sei wie die Narbe von Harry Potter – es gebe „in den Zacken“ witzige Höhepunkte, im Endeffekt ginge es mit seinen Protagonisten trotzdem steil bergab.
Nach einer kurzen Pause betritt Julia Wolf die Bühne, die, so Jager, „das Deluxe“ im „Debütantenball Deluxe“ sei – schließlich veröffentlichte die Autorin ihr Debüt „Alles ist jetzt“ bereits 2015 in der Frankfurter Verlagsanstalt. Vorgestellt von ihrer Lektorin Nadya Hartmann erfährt das Publikum, dass die Schriftstellerin aus ihrem Nachfolgeroman „Walter Nowak bleibt liegen“ lesen wird, der Anfang nächsten Jahres erscheint. Das Setting in dem Roman sei auf den ersten Blick zwar simpel, schließlich spielt sich die Handlung nur auf dem Boden eines Schwimmbades ab. Das erlaube Julia Wolf aber, tief in die Psyche ihrer Figuren einzutauchen, was sie dann mit dem Auszug, den sie liest, unter Beweis stellt – übrigens einem anderen als beim Bachmann-Preis. Dort wurde sie für ihren „Walter Nowak“ mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet.
Björn Jager lässt es sich bei seinen einleitenden Worten zu Philipp Winkler nicht nehmen, eine Anekdote über seine anfängliche Abneigung gegen „Hool“ zu erzählen. Astrid Schmidt vom Aufbau Verlag habe ihm auf der Leipziger Buchmesse von dem Roman vorgeschwärmt. „Schlimm: Fußball. Noch schlimmer: Bücher über Fußball. Und was gar nicht geht: Ein Buch über Hooligans!“, waren damals Jagers Gedanken. Und so lagen die Fahnen auch bis zu der E-Mail von Valentin Tritschler im Schrank. Als Tritschler aber Philipp Winkler vorschlug, nahm Björn Jager das Manuskript mit nach Hause – und las es innerhalb einer Nacht durch, wie er sagt. Der Roman habe zwar ein lautes Setting, verhandle aber leise sein zentrales Thema: versehrte und kaputte Menschen. Philipp Winkler schmunzelt über Jagers Anmoderation und liest dann ganz lässig nach hinten gelehnt, die Socken über die Trainingshose gezogen.
Hessisches Literaturforum
19. Oktober 2016
Debütantenball Deluxe mit Maren Kames, Stephan Reich, Julia Wolf und Philipp Winkler
Moderation: Björn Jager, Malte Kleinjung, Nadya Hartmann, Valentin Tritschler