Nach den vielen Cafébesuchen auf dem Boulevard du Montparnasse ist es an der Zeit, sich rund um den Jardin du Luxembourg ein paar nackte Hauswände anzuschauen. Immerhin: Es sind nackte Hauswände mit Geschichte.
Zwanzig Jahre (von 1920 bis 1940) seines Lebens verbrachte James Joyce in Paris. In der 71 Rue du Cardinal Lemoine im Quartier Latin lebte er einige Zeit mit dem französischen Schriftsteller Valery Larbaud zusammen. In dessen Apartment beendete Joyce „Ulysseus“, das von Auguste Morel mit Hilfestellung durch Larbaud ins Französische übertragen wurde. Silvia Beach veröffentlichte „Ulysseus“ schließlich, während Valery Larbaud dabei half, den Roman bekannt zu machen. Laut der New York Times zog James Joyce während seiner Jahre in Paris übrigens dreizehn Mal um.
In direkter Spuckweite, in der Nummer 74 der Rue du Cardinal Lemoine, lebte Ernest Hemingway für anderthalb Jahre, allerdings nicht zeitgleich mit James Joyce: Während Joyce vermutlich im Jahr 1921 für einige Monate bei Larbaud unterkam, wohnte Hemingway von Januar 1922 bis August 1923 in der Straße. Zu den zahlreichen Kneipen, die er in Paris frequentierte, gehörte auch das um die Ecke gelegene Café Delmas (2 Place de la Contrescarpe).
Wenige Laufminuten weiter in Richtung des Jardin du Luxembourg liegt das Hôtel 3 Collèges (bis 1984 Hôtel de Flandre) in der 16 Rue Cujas. Hier lebten unter anderem Arthur Rimbaud und Mario Vargas Llosa. Gabriel García Márquez verfasst in dem Hotel seine zwei Romane: „Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“ und „Unter dem Stern des Bösen“.
Nordöstlich am Jardin du Luxembourg führt die Rue Monsieur le Prince entlang. Die Nummer 17 beherbergt San Francisco Books, eine 1997 gegründete Buchhandlung, die sich auf englischsprachige Literatur spezialisiert hat. Zwanzig Schritte weiter in der Nummer 41 liegt das Polidor. Joyce, Hemingway, Fitzgerald und Cortázar gehörten zu den Stammgästen, außerdem drehte Woody Allen für seinen Film „Midnight in Paris“ mehrere Szenen hier.
Weiter geht’s in die 6 Rue Férou. Hemingway lebt auch hier (im Jahr 1927) und ausnahmsweise wird nicht durch eine Plakette an der Wand darauf aufmerksam gemacht. Spannender ist die Rue Férou sowieso aus einem anderen Grund: In großen Buchstaben ist das hundert Zeilen umfassende Gedicht „Le Bateau Ivre“, das Rimbaud in einem Brief an Paul Verlaine schrieb, auf einer Wand zu lesen. Realisiert wurde das handgemalte Kunstwerk von Jan Willem Bruins, der es im Juni 2012 öffentlich einweihte. Ursprünglich stammt diese Idee übrigens aus den Niederlanden: Unter dem Namen „Muurgedichten“ wurde 1992 das erst Mauergedicht gemalt.
Die letzte Station ist die wohl bedeutendste dieser Route: Gertrude Steins Wohnung in der 27 Rue de Fleurus, in der sie fünfunddreißig Jahre lang lebte. In ihrem Salon trafen sie sich jeden Samstag, die Picassos und Dalís, die Hemingways und Fitzgeralds, die Pounds und Apollinaires dieser Welt – viele von ihnen lange bevor sie berühmt wurden.