Cynan Jones – Alles, was ich am Strand gefunden habe

Obwohl sie sich nie begegnet sind, ist das Schicksal dreier Männer unausweichlich miteinander verknüpft. Cynan Jones begleitet sie in „Alles, was ich am Strand gefunden habe“ auf ihrem Weg in den Abgrund.

„Ich bin nicht beobachtet worden, dachte er. Niemand hat das hier gesehen.“

Im letzten Drittel von Cynan Jones‘ Roman fällt Hold das Wespennest wieder ein. Zusammen mit seinem besten Freund beobachtete er über Wochen hinweg fasziniert, wie die Wespen fleißig ihr Nest bauten. Doch das ist Jahre her. Holds Freund ist schon lange tot und das Nest wurde von Vögeln zerstört. „Da war dieses sorgfältig hergestellte Gebäude, und plötzlich kam etwas und richtete es zugrunde.“ Auch wenn sich Hold dessen nicht bewusst ist, ist der Moment, da ihm das zerstörte Nest einfällt, kein Zufall: Er ist gerade auf dem Weg zu einem Dealer, um ihm drei Päckchen Kokain, die er in ausgeweidete Wildkaninchen eingenäht hat, zu übergeben.

Die Drogen sollen Hold helfen, sein Nest zu bauen und nicht, es zu zerstören: Mit dem Geld aus dem Deal möchte er für die Frau und den Sohn seines verstorbenen Freundes das Haus kaufen, das ihnen weggenommen werden soll. Und vielleicht, so hofft Hold, kann er sogar selbst einziehen, sich ein neues Leben aufbauen. Hold ist eigentlich ein braver, rechtschaffener Mann, der sich sein Geld als Fischer verdient und ein einfaches Leben führt. Als ihm das Schicksal ein Kilo weißes Pulver zuspielt, hadert er mit sich, bevor er sich dazu entschließt, diese Chance zu ergreifen. Es ist das erste Mal, dass er gegen das Gesetz verstößt, aber er hat kaum eine andere Wahl.

Und da ist Grzegorz, der in der Hoffnung auf ein besseres Leben mit seiner Familie von Polen nach Wales floh. Doch auch ein Jahr später wohnen sie immer noch in einer Notunterkunft, die sie sich mit vielen anderen Polen teilen. Der Traum weicht einer Realität, in der „Polen raus“ auf der Ziegelmauer ihrem Haus gegenüber zu lesen ist. Grzegorz‘ Arbeit im Schlachthaus reicht nicht aus, um sich eine eigene Wohnung zu leisten. Wie Hold zögert auch Grzegorz, als ihm angeboten wird, durch unlautere Mittel an schnelles Geld zu kommen. Er, der trotz seiner ehrlichen, aber harten Arbeit in Armut lebt, hat aber kaum eine andere Wahl.

Allein dem Iren Stringer geht es verhältnismäßig gut. Frisch aus dem Knast kann er es kaum erwarten, da weiterzumachen, wo er sieben Jahre zuvor aufgehört hat. Zusammen mit seinem Handlanger macht er sich auf den Weg nach Wales, um die Drogen in Empfang zu nehmen. Stringer hat die Wahl.

„Alles, was ich am Strand gefunden habe“ kann durchaus als Thriller verstanden werden, schließlich wird gleich auf der ersten Seite eine übel zugerichtete Leiche gefunden, zudem wechseln sich im letzten Teil die Perspektiven der Männer, die sich unabhängig und doch parallel zueinander bewegen, immer schneller ab. Trotzdem ist Cynan Jones‘ Buch eher eine Charakterstudie, die das Leben der sogenannten einfachen Leute – in diesem Fall nur von Männern – in all ihrer brutalen Realität zeigt. Dialoge gibt es wenige, relevant ist vielmehr die Innensicht von Jones‘ Protagonisten. Es gelingt dem walisischen Schriftsteller gekonnt, die Ausweglosigkeit zu beschreiben, die Menschen dazu bringt, fatale Entscheidungen zu treffen. Lediglich die zahlreichen Passagen, in denen das Fischen, Jagen, Schlachten und Ausweiden von Tieren beschrieben wird, geben dem Buch einige Längen. Am Ende ist es weniger der Plot um das Kokain als die Begleitumstände, die aus „Alles, was ich am Strand gefunden habe“ einen leisen und zugleich brutalen Roman machen über Leben, die zerstörten Wespennestern gleichen.

Zum Weiterlesen: Cynan Jones – Graben

Cynan Jones – Alles, was ich am Strand gefunden habe
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind, München
Februar 2017, 237 Seiten

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