Baskische Literatur – was genau ist das überhaupt?

Was zum Teufel ist eigentlich baskische Literatur? Schriftsteller, Romane und sogar Sprachen bestimmten Ländern und Nationen zuzuordnen ist keine leichte (und oft eine sinnlose) Aufgabe. Ist beispielsweise Teju Cole, wenn er „Open City“ schreibt, US-Amerikaner, aber mit „Jeder Tag gehört dem Dieb“ nigerianischer Autor? Schwierig, schwierig. Und genauso schwierig ist es, den Begriff „baskische Literatur“ zu definieren, vor allem im Baskenland, wo alles Baskische politischen und gesellschaftlichen Dogmen unterworfen ist und linguistische oder literaturwissenschaftliche Positionen eine geringere Rolle spielen.

Im Falle des Baskenlands, auf die meisten zweisprachigen Regionen oder Länder übertragbar, gibt es, wenn man sie hinsichtlich der Sprache beurteilt, drei Typen an baskischen Schriftstellern: Baskische Autoren, die auf Baskisch schreiben, baskische Autoren, die auf Spanisch schreiben und spanische Autoren, die im Baskenland leben, baskische Themen behandeln und auf Spanisch schreiben. Fernando Aramburu, in Deutschland bekanntester Schriftsteller aus dem Baskenland, gehört der zweiten Gruppe an: Er ist in San Sebastián geboren, hat einen baskischen Nachnamen, behandelt (nicht nur) in „Patria“ ein klar baskisches Sujet, schreibt aber auf Spanisch, die Sprache, in der er mehr zu Hause ist als dem Baskischen.

Einer der Gründe, sich für die spanische Sprache zu entscheiden, ist genau dieser: Die meisten Basken (selbst Etarras und Nationalisten) beherrschen das Castellano ungleich besser als das Euskera. Andere Motive sind selbstverständlich ideologischer oder aber pragmatischer, sprich: ökonomischer, Natur. Das mag zunächst plump klingen, dem unterliegt aber eine Rechnung, die für Schriftsteller relevant ist: „5.000 Exemplare eines Buchs auf Euskera zu verkaufen ist vergleichbar damit, 300.000 Exemplare auf Spanisch zu verkaufen“, sagte der Autor Ramón Saizarbitoria einmal. Kein Wunder: Baskisch sprechen nur rund 700.000 Menschen – und nicht jeder davon unbedingt fließend.

Im Spanischen und Baskischen enthält der Begriff „baskische Literatur“ deutliche semantische Unterschiede: „Literatura vasca“ kann mit der deutschen Übersetzung gleichgesetzt werden, während „Euskal literatura“ ganz klar nur auf Euskera verfasste Texte meint, „Euskal“ bezieht sich nämlich ausschließlich auf die Sprache. Raúl Guerra Garrido, ein aus León stammender Schriftsteller, der seit 1960 in San Sebastián lebt – nie als baskischer Autor anerkannt wurde – und sich in zahlreichen Romanen (von denen keiner auf Deutsch übersetzt ist) mit der ETA und dem baskischen Nationalismus beschäftigt hat, sagte über die Wahrnehmung baskischer Schriftsteller: „… es gibt eine Abwesenheit, die zwischen dörflicher Unwissenheit und demagogischer Beleidigung changiert; die Abwesenheit der baskischen Autoren, die auf Spanisch schreiben.“ In einem anderen Interview hielt Guerra Garrido fest: „Wir sind keine Antagonisten, sondern die spanischsprachige Unterstützung der Literatur auf Baskisch.“

Bernardo Atxaga wiederum, der auf Euskera schreibt und bis zu dem Erfolg von Fernando Aramburu der im Ausland bekannteste baskische Autor war, beschwerte sich über die Rezeption und Vorverurteilung jener Schriftsteller, die ihre Romane auf Baskisch verfassen: „Sofort kommen hundert Leute, die sagen, dass du, wenn du auf Baskisch schreibst, das aus politischen Gründen machst, weil du ein Nationalist bist.“

Die Gründe, sich schlussendlich dafür zu entscheiden, auf Euskera zu schreiben, sind vielfältig: Neben der Ideologie gibt es durchaus noch (oder wieder, nach dem Ende der Diktatur ist die baskische Regierung fleißig darum bemüht, das Euskera der Bevölkerung näherzubringen) Basken, die sich auf Baskisch besser ausdrücken als auf Spanisch. Es gibt aber auch externe Anreize: Unter Franco der Beweis des Widerstands; heute aufgrund der zahlreichen Subventionen durch Regierung und Institutionen, ohne die nahezu kein baskischschreibender Autor Geld verdienen könnte – die bas­kische Reg­ie­rung kauft von jedem auf Euskera veröffentlichten Buch dreihundert Exem­plare, um diese Bib­­liotheken bereitzustellen. Aramburu wiederrum kritisierte dies: „Baskische Autoren sind nicht frei, sondern subventioniert.“ Sein Schriftstellerkollege Hasier Etxeberria sieht das anders: „Kein baskischer Autor kann vom Schreiben leben, aber in gewisser Weise befreit uns das vom Druck des Marktes. Wer schreibt, tut das, weil er es will, und hat dabei eine große Freiheit.“

Und ein paar Zahlen: Seit dem Ende der Franco-Diktatur erholt sich das Euskera und mit ihm auch die baskischsprachige Literatur zusehends. Heute gibt es rund dreihundert Autoren, die auf Baskisch schreiben, darunter lediglich 10-15 % Frauen. Während zwischen 1876 und 1975 durchschnittlich 31,5 baskische Bücher pro Jahr publiziert wurden, zeigen aktuellere Zahlen (von 2012) ein ganz anderes Bild: Inzwischen werden pro Jahr gut 1.400 Bücher auf Baskisch veröffentlicht, allerdings nur 14% davon sind literarischer Natur. Im Basken­land gibt es ungefähr hundert Verlage, von denen 35% nach 1990 gegründet wur­den. Von der hohen Zahl darf man sich aber nicht täuschen lassen – durchschnittlich haben die­ Verlage vier Angestellte. Das erste Buch, das auf Euskera veröffentlich wurde, stammt übrigens von 1545: „Linguae Vasconum Primitiae“ von Bernard Etxepare, ein Buch mit sechzehn Gedichten, die in einem niedernavarresischen Dia­lekt verfasst sind.

Die Frage, wie genau baskische Literatur definiert ist, kann – wie zu erwarten war – nicht pauschal beantwortet wer­den und ist auch heute noch ideologisch stark aufgeladen. Immerhin: Der Literaturpreis Premio Euskadi, der seit 1982 jährlich von der baskischen Regierung ver­liehen wird, zeichnet sowohl baskisch- als auch spanischsprachige Romane aus.


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