lesen.hören 12: Mariana Leky, Wiebke Porombka und ein Okapi

Bis letztes Jahr hatten die meisten Deutschen wahrscheinlich nur eine schwammige Vorstellung davon, was ein Okapi ist und wie es aussieht. Mariana Leky und ihr Bestsellerroman „Was man von hier aus sehen kann“ haben das geändert, schließlich ist es bei ihr ausgerechnet ein Okapi, das als Bote des Todes auftritt. Mit Kritikerin und Moderatorin Wiebke Porombka, die sich gleich zu Beginn als großer Fan des Buches outet, spricht sie über genau diese Themen: Okapis und Tod. Die beiden Frauen vergleichen das Aussehen eines Okapis mit einem Klappbilderbuch. „Es gehört nicht zusammen, passt aber zusammen“, sagt Porombka, und fügt hinzu: „Genau wie das Leben.“

„Was man von hier aus sehen kann“ versetzt den Leser zurück in die achtziger Jahre und das ausgerechnet in den Westerwald, einen „Ort mit Aberglauben, Mythologie“, so die Autorin. „Mir gefällt es, wenn die Magie in eine erdige Geschichte reinplumpst.“ Das Gespräch setzt zunächst bei Selma, der Großmutter der Protagonistin, ein. Erscheint ihr im Traum besagtes Okapi, stirbt innerhalb kürzester Zeit ein Dorfbewohner. Warum Selma als eine Doppelgängerin von Rudi Carrell beschrieben sei, möchte Porombka wissen. „Sie ist eine nette Oma“, erklärt Mariana Leky, „da kann sie nicht auch noch apfelbäckig und mit Dutt sein. Und ich konnte mir Rudi gut im Rock vorstellen!“ Das Publikum ist bestens aufgelegt und lacht bei jedem zweiten Satz. „Ich bin froh, dass sie das amüsiert“, betont Mariana Leky. „Einmal habe ich die Stelle mit Rudi Carrell gelesen und keiner hat gelacht – da fühlt man sich einsam und alt.“ Das durchaus betagte Publikum bricht in schallendes Gelächter aus und klatscht.

Die Figuren im Leky’schen Dorf können sich nicht ausweichen und durch die Nähe nur schlecht sehen, erklärt die Autorin den Titel. Porombka verrät, dass der Optiker, der heimlich in Selma verliebt ist, ihre Lieblingsfigur sei, während Mariana Leky Marlies, die „nicht nur grummelig, sondern wirklich eklig“ ist, am liebsten mag: „Die Beschimpfungen habe ich sehr gerne geschrieben!“

Danach sprechen Leky und Porombka über die Psychoanalyse, die in dem Roman eine gewisse Rolle spielt. Mariana Leky erzählt, dass ihr Vater selbst Psychoanalytiker war, und „ihm folgten zwölf weitere in der Familie!“ Zweimal im Monat, verrät die Autorin, gab es gegenseitige Supervisionen bei ihnen zu Hause, zu der sich alle Psychoanalytiker der Familie trafen. Ihre Mutter bezeichnete diese Treffen ironisch als den „Tag des Herren“. Dr. Maschke mit seiner speckigen Lederjacke, der Psychoanalytiker in Lekys Roman, basiert auf einem ihrer Familienangehörigen.

Dem Tod wird in „Was man von hier aus sehen kann“ auf unterschiedliche Weise begegnet. Selma beispielsweise schleppt die trauernde, noch kindliche Protagonistin um ihren Hals geklammert mit sich herum. „Ich habe nach einem Bild gesucht, wie man den Schmerz tragen soll, bis mir aufging: Selma trägt sie wortwörtlich.“ Doch selbst der Tod, so Wiebke Porombka, habe in dem Roman einen leisen Witz. „Ist das eine Lebensbewältigungsstrategie?“ Mariana Leky wägt ab. „Wenn schreckliche Sachen auf einen eindonnern, kann man das gut mit Komik flankieren, die nicht verbessert, sondern dadurch den Schmerz zeigt.“ Die traurigen Stellen habe sie mit Humor auffangen wollen, um dem Kitsch entgegenzuwirken. Und übertrieb es mitunter. „Mein Lektor hat viele Stellen durchgestrichen und groß und in Rot danebengeschrieben: Kalauer!“

Zum Ende des Gesprächs stellt Wiebke Porombka die Frage nach der Gattung von „Was man von hier aus sehen kann“. Der klassische Dorfroman aus dem 19. Jahrhundert sei ja wirklich nicht freundlich, so anders als die Dorfbewohner bei Leky. Diese nickt. „Wenn man sich nicht ausweichen kann, muss man sich entweder zurückziehen oder den anderen so akzeptieren, wie er ist.“ Dies seien die Möglichkeiten, um auf diesem engen Raum miteinander umzugehen. „Keiner hat Erfahrungen mit dem Weggehen, deswegen schießen sie, wenn sie es tun, über das Ziel hinaus und gehen nach Afrika – oder sterben.“ Mariana Leky hält inne. „Das war schon wieder ein Kalauer!“

Ein Okapi beim Optiker. Mariana Leky fühlt zart und träumt Tatsachen
Alte Feuerwache Mannheim
7. März 2018
Moderation: Wiebke Porombka


Ein Gedanke zu “lesen.hören 12: Mariana Leky, Wiebke Porombka und ein Okapi

  1. Huhu!

    Ich habe „Was man von hier aus sehen kann“ zwar noch nicht gelesen, es steht aber schon auf meiner Wunschliste. Und diese Veranstaltung klingt so, als wäre sie sehr interessant gewesen – schöner Bericht!

    Ich habe diesen Beitrag HIER für meine Kreuzfahrt durchs Meer der Buchblogs verlinkt.

    LG,
    Mikka

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