Romane über den Tod

Liebe und Tod sind eigentlich die wichtigsten Motive der Literatur (des Films, der Musik). Trotzdem ist es gar nicht so einfach, in neuerer Literatur, sagen wir nach 1945, Romane zu finden, die den Tod als zentrales Thema oder als konkrete Zäsur in der Handlung haben. Ich habe euch zu verschiedenen Todesarten und Umgangsformen damit einige Beispiele herausgesucht. Welche Bücher würdet ihr noch empfehlen?

Tod als Ausgangsszenario: Celeste Ng – Was ich euch nicht erzählte, Sina Pousset – Schwimmen

Ein Buch, das mit den Sätzen „Lydia ist tot. Aber das wissen sie noch nicht.“ beginnt, muss ganz klar in diese Kategorie: Celeste Ng beschreibt in ihrem Debütroman „Was ich euch nicht erzählte“ das Leben einer Familie, deren älteste Schwester beziehungsweise heimliche Lieblingstochter erst verschwunden ist, später tot aufgefunden wird. Ein Unfall, Mord oder doch Suizid? Ng zeigt anhand der beiden überlebenden Geschwister und ihrer Eltern eindringlich, wie unterschiedlich der Umgang mit dem Tod eines Angehörigen sein kann. In weiteren Ebenen des Romans behandelt sie die Aufklärung von Lydias Tod und Rassismus im ländlicher geprägten US-Amerika.

Auch Sina Pousset beschreibt in ihrem Debüt „Schwimmen“ den Tod einer nahestehenden Person. Während als Reaktion darauf sich die eine Protagonistin von der Gesellschaft zurückzieht, ist die andere gezwungen, von einem auf den anderen Tag erwachsen zu werden. Ein weiteres Beispiel wäre „Der Zementgarten“ von Ian McEwan, eine inzestuöse Geschichte, in der die Kinder ohne ihre Eltern zurechtkommen müssen. Ganz anders und doch vergleichbar verhält es sich bei Marina Keegan: Ihr Essay- und Kurzgeschichtenband „Das Gegenteil der Einsamkeit“ hätte man in dieser Form niemals veröffentlicht, wäre die Autorin nicht in sehr jungen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Suizid: Sylvia Plath – Die Glasglocke

Einer der bekanntesten Romane über den Suizid ist ohne Zweifel „Die Glasglocke“ von Sylvia Plath. Die Bedeutung des Romans ist ein wenig mit Marina Keegan vergleichbar, Plaths Protagonistin Esther Greenwood hat nämlich „nur“ einen Suizidversuch hinter sich. Dass das Buch derlei Maßstäbe in der Gattung des Suizidromans (gibt es die überhaupt? Wenn nicht, sie sollte eingeführt werden) gesetzt hat, liegt an der Autorin, die sich kurz nach der Veröffentlichung das Leben nahm.

Weitere Bücher, die den Suizid behandeln, sind Jeffrey Eugenides‘ „Die Selbstmord-Schwestern“, bei dem der Titel Programm ist, und Bov Bjergs „Auerhaus“, in dem eine Gruppe von Schülern quasi als Suicide Prevention eine WG gründet, um ihren Freund Frieder rund um die Uhr überwachen zu können.

Eigener Tod: Wolfgang Herrndorf – Arbeit und Struktur

Ursprünglich als Blog geschrieben, schildert Wolfgang Herrndorf in „Arbeit und Struktur“ seine letzten dreieinhalb Jahre, bevor er sich 2013 aufgrund eines Hirntumors das Leben nahm. Das entsprechend stark autobiographische Buch wurde erst posthum veröffentlicht; der Tumor bereitete Herrndorf zusehends Schwierigkeiten, überhaupt noch Worte zu Papier zu bringen.

Mord: Lionel Shriver – Wir müssen über Kevin reden, Truman Capote – Kaltblütig

Mord in seinen extremsten Fällen: „Wir müssen über Kevin reden“, schreibt Kevins Mutter an seinen Vater. Es ist das Understatement des Jahres, immerhin hat der fünfzehnjährige Kevin in Lionel Shrivers intensivem, psychologischen Roman zahlreiche Klassenkameraden erschossen. Ihn reut alleine, dass das Columbine-Shooting kurz darauf einen hören Body Count hatte.

Auch in Truman Capotes „Kaltblütig“, der Begründer des Tatsachenromans oder eleganter: Non-Fiction Novel, ist ein Mord der Dreh- und Angelpunkt der Handlung (beide Bücher könnte man auch dem „Tod als Ausgangsszenario“ zuordnen): 1959 wird in Kansas eine Familie kaltblütig abgeschlachtet. Capote, der ursprünglich eine Story für den New Yorker daraus machen wollte, faszinierte die Geschichte und einer der beiden Mörder zusehends. Er besuchte ihn regelmäßig im Gefängnis, zum Teil aus einer Art Freundschaft, die entstand, vor allem aber, um mehr über die Beweggründe des Mannes zu erfahren. Wie sehr Truman Capote selbst an seinen Recherchen zerbrach, stellt Philip Seymour Hoffman grandios in dem Film „Capote“ dar.

Migration und Tod: Antonio Ortuño – Die Verbrannten

Migration und Flucht enden oft tödlich, nicht nur in Europa, sondern auch für die vielen Mexikaner und (noch gefährdeter) die Mittelamerikaner, die durch ganz Mexiko reisen müssen, um die US-amerikanische Grenze zu erreichen. Als Menschen zweiter Klasse werden sie von den Mexikanern so behandelt wie die Mexikaner von den Gringos. Da kann es schon vorkommen, dass 50, 100 Migranten ums Leben kommen, ob gewaltsam oder bei einem Unfall, wen kümmert es schon, man ist als Politiker und Polizist nur froh, wenn sich die Presse auf noch spektakulärere Fälle stürzt. Wie wenig Menschenleben manchmal wert sind, darum geht es in Antonio Ortuños Roman „Die Verbrannten“, einem fast schon zynischen Roman über die zumindest Tatenlosigkeit, zumeist Korruption der mexikanischen Justiz und Politik und über das Grauen, das Migranten auf ihrer Flucht erleben müssen.

Tod Nahestehender: Joachim Meyerhoff – Amerika, Joan Didion – Das Jahr magischen Denkens, Blaue Stunden

Über den Tod von Angehörigen gibt es zahlreiche Bücher (Celeste Ng oder Sina Pousset zum Beispiel), ich nenne stellvertretend aber Meyerhoff und Didion. Meyerhoffs Romanzyklus heißt nicht ohne Grund „Alle Toten fliegen hoch“, es sterben in jedem Buch ihm nahestehende Menschen wie die Fliegen, ist man versucht zu sagen. Der erste Tod, der im ersten Buch „Amerika“ geschieht, ist der schlimmste, da er am überraschendsten kommt. Meyerhoff lebt zu dem Zeitpunkt als Austauschschüler in Wyoming und gewöhnt sich gerade an die skurrilen Eigenschaften seiner Mitschüler und Nachbarn, als in Deutschland die Katastrophe passiert. Am Ende sieht er nur einen Ausweg: Vor der Trauer fliehen und zurück in die USA fliegen, um sich dem „echten Leben“ in Deutschland nicht stellen zu müssen.

Joan Didions Bücher „Das Jahr des magischen Denkens“ und „Blaue Stunden“ sind Memoiren über den Tod ihres Mannes und jahrzehntelangen Gefährten und dann der Tochter, die noch vor der Veröffentlichung des ersten Buchs verstarb. Ich selbst habe bisher keinen der beiden Texte gelesen, sie wurden aber sowohl von der Kritik als auch von Menschen, die mit dem Tod in ihrem eigenen Umfeld umgehen mussten, hochgelobt.


4 Gedanken zu “Romane über den Tod

  1. Ich kann hier noch aus vollem Herzen Richard Lorenz mit „Frost, Erna Piaf und der Heilige“ empfehlen. Lorenz schreibt in diesem Roman sehr einfühlsam über den Tod und das Sterben. Würde in diese Reihe passen.

    Allgemein hast du ein sehr schönes Thema heraus gesucht, denn es wird heutzutage wirklich zu wenig über den Tod und das Sterben gesprochen. Jeder hat Angst davor und schweigt es weg. Von daher ist es umso wichtiger den Tod vom Staub zu befreien und sich ihm als etwas Natürlichem zu stellen. Ein paar deiner Tipps landen gleich mal auf den Merkzettel.

    Liebe Grüße
    Marc

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