Vier Frauen, ein Buch: „Dunkelgrün fast schwarz“ von Mareike Fallwickl

Vom Manuskript zum gedruckten Exemplar im Buchhandel – wie funktioniert das? Was muss beachtet werden, wie sieht die Arbeit hinter den Kulissen aus? Ich habe vier Expertinnen gefragt, die das ganz genau wissen:

Mareike Fallwickl, deren gefeiertes literarisches Romandebüt „Dunkelgrün fast schwarz“ vor zwei Monaten in der Frankfurter Verlagsanstalt erschien.
Caterina Kirsten, ihre Literaturagentin, die seit mehr als sechs Jahren bei der Agentur copywrite arbeitet.
Nadya Hartmann, seit 2012 Lektorin in der Frankfurter Verlagsanstalt und zudem zuständig für Rechte und Lizenzen.
Anne Michaelis, die vor anderthalb Jahren die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Frankfurter Verlagsanstalt übernommen hat.

Vier Frauen – ein Buch. Und wie sich herausgestellt hat: eine Erfolgsgeschichte.

Mareike, „Dunkelgrün fast schwarz“ wird von allen Seiten hochgelobt, sehr viele deiner Leser zeigen sich begeistert. Kurz zusammengefasst, worum geht es in dem Roman? Und worum ging es dir?

Der Roman handelt von einer ungleichen Freundschaft zwischen zwei Jungen: Der eine ist schüchtern und zurückhaltend, der andere draufgängerisch und fordernd. Als Kinder waren sie unzertrennlich, doch dann haben sie sich 16 Jahre lang nicht gesehen — als Leser weiß man nicht, warum, und während die Mutter eines der Buben von der Entstehung dieser Freundschaft erzählt, spitzt sich in der Gegenwart der Konflikt zu, der auch eine dritte Person einbezieht. Bis ihnen alles um die Ohren fliegt, was damals unausgesprochen geblieben ist.

Die Idee für den Plot kam mir, als ich auf dem Spielplatz eine Szene beobachtet habe, die mich nicht mehr losgelassen hat: Ein Kind — ein dorfbekanntes, sogenanntes AK, sehr manipulativ und berechnend — hat mit voller Absicht seinen kleinen Babybruder verletzt. Ich habe mich gefragt: Warum sind manche Kinder so, woher kommt das? Sind die Eltern schuld? Und was geschieht, wenn diese Kinder erwachsen werden? Langsam haben sich fiktive Antworten auf diese Fragen in meinem Kopf formuliert, und die Romanhandlung ist entstanden. Es geht in „Dunkelgrün fast schwarz“ aber nicht nur um diese Freundschaft und ihre Tücken, sondern auch um die Fehler, die wir als Eltern machen, obwohl wir es eigentlich gut meinen. Um Menschen, die unsere Grenzen übertreten und bei denen wir uns nicht so recht wehren können — ich denke, so etwas hat jeder schon mal erlebt. Und es geht um Liebe und um Verrat und die Tatsache, dass jede Generation von vorne anfangen kann und darf — um es vielleicht besser zu machen.

Wie bist du beim Schreiben vorgegangen? Hast du dir vorher den Plot genau überlegt oder dich während des Schreibens leiten lassen?

Ich bin ein sehr strukturierter Schreiber. Ich habe immer alles bereits fertig im Kopf, vom ersten bis zum letzten Kapitel, ich weiß genau, was ich erzählen will und wie. Vorher fange ich gar nicht an zu schreiben, ich würde mich völlig verzetteln. Natürlich ändern sich noch Einzelheiten, viele Ideen kommen mir erst mitten im Prozess, manchmal verlangen auch die Figuren partout etwas, das nicht geplant war (wie zum Beispiel Moritz mit seinen Farben), aber das große Ganze ist bereits da. Ich bin auch ein total analoger Typ: Ich hatte für „Dunkelgrün fast schwarz“ ein riesiges Blatt, auf dem alle Handlungsstränge aufgeschrieben und miteinander verflochten waren, sowie ein Notizbuch. Ich muss mit der Hand schreiben, um meine Gedanken zu ordnen. Das mache ich auch gerade für den neuen Roman — und der Plot steht ebenfalls bereits fest.

Warum hast du dich dazu entschieden, dich an eine Agentur und nicht an Verlage direkt zu wenden? Nach welchen Kriterien hast du die Literaturagenturen, bei denen du dich beworben hast, ausgesucht? Und warum hast du dich für copywrite entschieden?

Diese Entscheidung ist schon zu einer Zeit gefallen, in der ich noch gar nicht wusste, dass ich jemals dieses Buch schreiben würde. Als ich vor vielen Jahren selbst in einem Verlag Volontärin war, gehörte es zu meinen Aufgaben, die unaufgefordert eingesandten Manuskripte durchzusehen und die Absagen zu schreiben. Da hab ich gemerkt: Ein Verlag bekommt so viele Manuskripte, die überhaupt nie beim Lektor landen — ich muss das, wenn es mal so weit ist, anders angehen. An Caterina habe ich mich gewendet, weil ich sie lange kenne — wir sind über unsere Blogs und den Gemeinschaftsblog We read Indie verbunden und hatten uns schon persönlich getroffen. Ich dachte: Ohje, die Arme, ihr schicken bestimmt viele befreundete Menschen Manuskripte, weil sie Agentin ist, aber hey, egal, ich mache es trotzdem auch. Und war sehr überrascht, als sie mich nach wenigen Tagen angerufen hat mit der Nachricht: „Mareike, das ist gut, lass uns das gemeinsam machen.“

 

Caterina, was genau macht man als Literaturagentin? Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Die Kurzfassung: Ich vertrete Autoren und vermittle ihre Manuskripte an Verlage. Im Detail bedeutet das, dass ich zunächst einmal viel lese und scoute, mit den Autoren gemeinsam an ihren Texten arbeite, dass ich für ebendiese Texte die bestmögliche Verlagsheimat finde und die bestmöglichen Bedingungen schaffe, nicht nur finanzieller Natur, und dass ich die Autoren über das einzelne Projekt hinaus bestenfalls über Jahre begleite und mit ihnen eine langfristige Strategie entwickle.

Im Alltag bin ich vor allem damit beschäftigt, zu lesen und zu lektorieren, Mails zu schreiben und zu telefonieren, mich mit den Kollegen auszutauschen, nicht zuletzt beim täglichen gemeinsamen Kochen und Essen. Natürlich fällt aber auch schnöde administrative und organisatorische Arbeit an, idealerweise an Freitagnachmittagen. Und dann geht es immer wieder auch nach draußen, auf Autorenbesuche und Verlagsreisen, zu Buchmessen, Premierenlesungen und Literaturfestivals.

Welche Tipps gibst du angehenden Autoren, die auf Agentursuche sind? Wie viele Manuskripte erreichen dich täglich und wie schafft es da ein Manuskript, dich zu begeistern? Und welche Fehler sollte man keinesfalls machen?

Offen gestanden tue ich mich schwer mit diesen Do’s and Dont’s für angehende Autoren. Klar, man sollte keine Sammelmail an mehrere Agenturen schicken und sich ein bisschen mit den Leuten befassen, an die man mit seinem Manuskript herantritt, man sollte grundsätzlich professionell auftreten, sich gut vorbereiten und nicht aufdringlich werden. Von diesen Dingen gehe ich jedoch ohnehin aus, es handelt sich ja immer noch um eine Geschäftsbeziehung, auch wenn Autor und Agent oft auch freundschaftlich verbunden sind.

Ob ein Manuskript aber zum Beispiel auf diese oder jene Weise formatiert ist, das interessiert mich nicht. Mich interessiert der Text und mich interessiert der Autor dahinter. Ist das eine Stimme, die mich nicht mehr loslässt? Ist das eine Geschichte, die mich überrascht, berührt, berauscht? Ist das ein Autor, der etwas zu sagen hat, nicht nur einmal, sondern viele Male? Im Jahr bekommen wir in der Agentur etwa tausend Einsendungen – nehmen aber nur sehr wenige neue Autoren auf.

Was hat dich an Mareikes Roman begeistert?

Ich kannte Mareike schon lange, bevor sie mir ihren Roman geschickt hat, ich mochte sie und konnte daher unmöglich Nein sagen. Nein, das war natürlich nicht der Grund. Wobei es stimmt: Ich konnte unmöglich Nein sagen. Dabei hatte ich damals nicht einmal den ganzen Roman auf dem Tisch, sondern lediglich die ersten fünfzig Seiten, und das passiert selten, dass ich schon so früh weiß: Das musst du machen.

Abgesehen davon, dass die Textprobe von einer erstaunlichen Reife zeugte und es klar war, dass da eine Autorin am Werk ist, die ihre Geschichte im Griff hat, war ich von Beginn an überwältigt. Von den Figuren, die in einem toxischen Geflecht gefangen sind und deren Einsamkeit, Verletzlichkeit und Abhängigkeit einen mit aller Wucht erwischen; von der Sprache, die derart süchtig macht, dass man das Buch trotzdem keine Sekunde zur Seite legen will.

 

Nadya, nicht nur der Beruf des Literaturagenten ist für Menschen außerhalb der Branche schwer greifbar, auch vom Arbeit eines Lektors haben die meisten nur schwammige Vorstellungen. Lektorat ist ja mehr als nur Fehlerkorrektur –  aber was genau machst du?

Eine der naheliegenden Vorstellungen, was eine Lektorin/ein Lektor so tut, trifft in der Tat zu: lesen, lesen, lesen! Priorität haben die Texte der Hausautoren und Hausautorinnen, danach kommen die Manuskripte, die den Verlag durch Agenten und Agentinnen oder auch unverlangt erreichen. Nebenbei führt die Lektüre dann kreuz und quer durch die Gegenwartsliteratur, aber auch hin zu Klassikern und Sachbüchern.

Was die Arbeit am Text angeht, so geht es beim Lektorat nicht schlicht um das Auffinden von Fehlern, sondern um eine sorgfältige, bisweilen vielleicht sogar pedantisch wirkende Rundumanalyse, die sich voll und ganz auf die Eigenart des Textes und seines Autors/seiner Autorin einlässt. Daher fällt der Lektoratsprozess sehr individuell aus und lässt sich schwer verallgemeinern. Wiederkehrende Fragen sind aber sicherlich: Funktioniert die Dramaturgie des Textes? Ist die Figurenzeichnung gelungen? Ist die Motivation der Figuren für den Leser nachvollziehbar? Passen Stil und Inhalt zueinander, werden Motive stimmig eingesetzt? Gibt es Fallen, in die die Autorin/der Autor getappt ist – Klischees, schräge Sprachbilder, Unstimmigkeiten in der Zeitachse, Fehler bei historischen Fakten, unfreiwillige Komik, etc. Bei allem ist die Kommunikation mit dem Autor/der Autorin über den Text ein besonders wichtiger Faktor, denn ein Lektor/eine Lektorin schreibt natürlich nicht einfach um, was ihm oder ihr nicht gefällt, sondern er macht Vorschläge, weist auf etwas hin, stupst an, bohrt nach – aber nichts geschieht ohne die ausdrückliche Einwilligung des Urhebers/der Urheberin. Somit ist neben der Leidenschaft für Literatur auch die Fähigkeit zur Empathie und Diplomatie entscheidend. Danach kommen Geduld, Beharrlichkeit, Akribie, Stressresistenz und Bescheidenheit.

Wie erreichen dich Manuskripte? Was muss ein gutes Manuskript haben? Und vertraust du ausschließlich Texten, die dich über Agenturen erreichen oder gibt es andere Möglichkeiten, als Autor ohne vorherige Publikationen auf sich aufmerksam zu machen?

Manuskripte erreichen den Verlag über Agenturen, unverlangt, auf Empfehlung (zum Beispiel von Autorinnen und Autoren), durch den direkten Kontakt mit Autorinnen und Autoren, der sich bei Lesungen oder Events wie den Open Mike oder die Literaturtage in Klagenfurt ergibt – also auf ganz unterschiedlichen Wegen. Der Weg ist letztlich nicht das Entscheidende – sondern der Text muss überzeugen.

Die Präsentationsform ist nicht gänzlich unerheblich, wenn mich ein Text mit einem guten Anschreiben erreicht, das zeigt, der Autor/die Autorin hat sich mit dem Verlagsprofil auseinandergesetzt und ist sich in seinen/ihren Formulierungen sicher, dann trägt das schon dazu bei, dass man diesen Text eher zur Hand nimmt als einen anderen. Die Frage, was ein gutes Manuskript für mich ausmacht, ist schwerer zu beantworten und doch auch ganz simpel: Es muss mich in seinen Bann ziehen. Das kann durch ganz unterschiedliche Dinge erreicht werden: eine spannende, überzeugende Handlung, tolle Figuren, eine besondere Sprache, einen eigenen, aufregenden Stil, faszinierende Schlichtheit, überraschende Wendungen, Witz, Wucht, Wut, Wunderlichkeit – die Lektüre eines interessanten Textes führt mich aus meinem Alltag heraus, löst eine Art innere Entgleisung in mir aus – etwas öffnet sich, etwas Neues, Unerwartetes, Unbekanntes zeichnet sich ab, etwas verschiebt sich – das kann noch so minimal sein. Das Gefühl, das sich bei der Lektüre eines gelungenen Textes einstellt, zu beschreiben, ist gar nicht so leicht, aber wenn es passiert, dann weiß man es einfach.

Was hat dich dazu bewegt, Mareikes Roman für die Frankfurter Verlagsanstalt zu akquirieren?

Das Gefühl, was ich in meiner vorigen Antwort beschrieben habe, hat sich nach wenigen Seiten eingestellt, und zwar mit einer Wucht, dass es so richtig Bämm gemacht hat: Hier passiert etwas mit mir, ich werde mitgerissen in eine mir so noch nicht bekannte Welt, der Text löst etwas in mir aus, schließt mir etwas auf, das ich so noch nicht wahrgenommen habe, hat etwas ganz eigenes – und, was ich in dieser Intensität sehr selten erlebe: Er bringt mich dazu, alles andere stehen und liegen zu lassen, zwingt mich förmlich, bis zur letzten Seite zu lesen. Es ist einer der wenigen Texte, denen es gelingt, ihre Leser süchtig machen. Gleichzeitig hat mich unheimlich beeindruckt, wie lebendig die Figuren wirken, ein Eigenleben entwickeln, dass die Autorin gänzlich hinter ihrem Text verschwindet (was eine Kunst ist), und wie sehr man sich als Leser an ihnen reibt, mit ihnen fühlt, wie sehr sie einem unter die Haut gehen. Und dann ist die Handlungsführung einfach sensationell, zeugt von einer erzählerischen Souveränität, die für ein literarisches Debüt wahrhaft verblüffend ist. Wie die Autorin Spannung aufbaut wirkt so natürlich und beiläufig wie ein perfekt geöltes Räderwerk, das geräuschlos im Hintergrund wirkt, wie bei einem Zaubertrick. So banal das klingen mag, so selten gelingt es in einer derartigen Perfektion – auch das spricht für das außergewöhnliche Talent der Autorin.

 

Anne, wie war deine erste Reaktion, als du Mareikes Manuskript in die Finger bekamst?

Meine erste Reaktion? Unendliche Freude! Da Verleger und Lektorat voll des Lobes waren, war ich natürlich sehr gespannt auf den Roman von Mareike! Ich wollte diesen Sog spüren, von dem sie sprachen, wollte in die Welt von Raffael, Moritz und Johanna eintauchen und erfahren, warum die Freundschaft der drei zerbrochen ist.

Wie genau sieht dein Arbeitsalltag aus? Wie erreichst du, dass Bücher der FVA in der Presse besprochen werden? Und ist die Zusammenarbeit mit Bloggern anders als mit Journalisten?

In meiner Position von einem Arbeitsalltag zu sprechen, finde ich schwierig. Dadurch, dass ich für Presse und Veranstaltungen zuständig bin, können sich binnen weniger Minuten die unterschiedlichsten Aufgaben ergeben. Hier benötigt jemand ein Rezensionsexemplar, da möchte jemand ein Interview führen, dort braucht jemand dringend ein Cover, da muss eine Lesereise organisiert werden, hier gibt es einen neuen Instagram-Post zu einem unserer Bücher und so weiter und so fort. So sind auch die Wege, die zu einer Besprechung führen, sehr verzweigt und vielschichtig. Wichtig ist für mich die Pressereise, die ich vor Erscheinen des Frühjahrs- und Herbstprogramms unternehme und in direkten Kontakt mit Journalistinnen und Journalisten in Berlin, Hamburg, Köln, Zürich, München und Wien trete. Dabei lässt sich am besten das Interesse für einen Titel abklopfen, gemeinsam können Ideen entwickelt werden, ich erfahre, was gerade wichtige Themen in den Redaktionen sind und so weiter.

Ob die Zusammenarbeit mit Bloggern anders als mit Journalisten ist? Für mich gilt sowohl bei Journalisten als auch bei Bloggern: Was interessiert diejenige oder denjenigen? Danach richte ich meine Arbeit aus. Der Kontakt zu Bloggern ist natürlich besonders schön, weil mit einigen ein freundschaftlicher Kontakt entstanden ist, der die Zusammenarbeit noch vereinfacht. Und was gibt es schöneres, als mit Menschen, die man mag, über Bücher zu schwärmen? Eben!

Wie gehst du vor, wenn dir ein Buch gar nicht gefällt, das du promoten sollst?

Professionell.

 

Wohnzimmerlesung mit Mareike Fallwickl im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2018, moderiert von Uwe Kalkowski


2 Gedanken zu “Vier Frauen, ein Buch: „Dunkelgrün fast schwarz“ von Mareike Fallwickl

  1. Da so etwas im Alltag und der enormen Dichte an Blogbeiträgen immer untergeht, muss hier an dieser Stelle einmal Danke gesagt werden. Danke für die enorme Arbeit, ein Interview mit gleich vier Beteiligten zu führen und die unterschiedlichen Arbeitsschritte herauszuarbeiten. Liest sich richtig gut und informativ.

    Liebe Grüße
    Marc

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