Gastland 2021: Wie steht es um die spanische Literatur?

Spanischsprachige Literatur hat es generell schwer in Deutschland – kommt die Literatur aus Spanien selbst und nicht aus Lateinamerika, ist sie hierzulande quasi nicht existent. Zieht Javier Marías ab und Carlos Ruiz Zafón, und zieht noch den überraschenden Erfolg von Fernando Aramburus „Patria“ ab: Wie viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Spanien fallen euch ein, die in den letzten zehn Jahren auf Deutsch übersetzt wurden (und die ihr gar gelesen habt)?

Spanisch ist nur auf Platz 7 der übersetzten Sprachen

In zwei Jahren ist Spanien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Von sonderlich großem Enthusiasmus oder Engagement seitens der spanischen Kulturbehörden ist bisher aber nichts zu merken, weder in Bezug auf die Buchmesse noch allgemein auf die Literaturvermittlung in Deutschland. Das macht sich in den Zahlen bemerkbar: Rund 500 Millionen Menschen weltweit sprechen Spanisch (350 Millionen davon sind Muttersprachler*innen) – aber Spanisch ist in Sachen Übersetzungen ins Deutsche nur auf dem siebten Platz. Und dies auch nur dank der lateinamerikanischen Autor*innen, die hier teilweise auf Interesse stoßen.

Krisenstimmung also? Ein bisschen schon, wie bei einer Veranstaltung im Instituto Cervantes Berlin deutlich wird. Auf einen internen Workshop folgend sitzen Linus Guggenberger, Lektor im Wagenbach Verlag, die Literaturagentin Saskia von Hoegen und die beiden Übersetzer Christian Hansen („2666“) und Thomas Brovot auf der Bühne, moderiert von Ibon Zubiaur, dem ehemaligen Leiter des Instituto Cervantes in München. Motto des Abends: „Wer liest (noch) spanische Bücher?“ Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt, zumindest keine, die sonderlich glücklich machen würde.

Gute Übersetzer*innen, keine Förderung

Die Paradoxie, so konstatiert Zubiaur, besteht darin, dass es heute – nicht zuletzt durch die Pionierarbeit von Thomas Brovot – sehr viele sehr gute Übersetzer*innen gibt, spanische Literatur trotzdem auf viel geringeres Interesse stößt, als es noch vor 15 Jahren der Fall war. Ein Problem ist, dass innerhalb der Verlage wenige Mitarbeiter*innen gut genug Spanisch sprechen, um Texte zu prüfen, und sich die wenigsten auf Gutachten von Externen verlassen möchten. Außerdem hapert es, da sind sich die Diskutierenden einig, enorm an Übersetzungsförderungen für Verlage sowie Förderungen für Übersetzer*innen, etwa durch Stipendien. Zudem sehe das deutsche Publikum spanische Autor*innen als Korrespondent*innen an, die etwas über zeitgenössische, genuin spanische Themen erzählen sollten, und nicht beispielweise über eine Flucht aus Syrien.

Mit gewissem Zähneknirschen wird auf das katalanische Kulturinstitut Ramón Llull verwiesen, das viel Budget zur Verfügung hat, um Übersetzungen zu fördern – und ein größeres, da politisches Interesse darin, dies auch zu tun. Entsprechend aufgezogen war auch der Gastlandauftritt von Katalonien im Jahr 2007. Auch Programa Sur in Argentinien oder Letterenfonds in den Niederlanden, so Saskia von Hoegen, seien als positive Beispiele zu nennen.

Bürokratiefallen

Lektor Linus Guggenberger benennt die Hürden, die Verlage nehmen müssen, um den Antrag für eine Übersetzungsförderung beim spanischen Kultusministerium einzureichen: Es gebe dafür ein Zeitfenster von nur drei Wochen im August, also in Deutschland wie Spanien Ferienzeit, alle Formulare, auch die Verträge, die für gewöhnlich auf Englisch sind, müssten ins Spanische übersetzt werden (nahezu unmöglich, wenn im Verlag keine*r exzellentes Spanisch spricht), und dann stürze das Anmeldeformular regelmäßig ab, während in den Ministerien keine Ansprechpartner*innen (ist ja August) zu erreichen seien. Und selbst wenn man all dies meistert, kann man nicht unbedingt mit einer Förderung rechnen. Außerdem dürfen in jeder Bewerbungsphase von einem Übersetzer nur drei Bücher, gleich, in welchem Verlag sie erschienen sind, eingereicht werden. Um es mit Guggenbergers Worten auf den Punkt zu bringen: „Das Programm ist daraufhin designt, dass Bewerbungen vermieden werden.“

Auch das Instituto Cervantes kann in Sachen Förderung wenig helfen: Im Vergleich zum Goethe-Institut ist es von geringerer Bedeutung; es gibt weder das Budget noch das Personal noch die Struktur, um Kultureinrichtungen entsprechend zu fördern, der Fokus liegt auf der Sprachvermittlung. Ibon Zubiaur, dem das merklich ein Anliegen ist, will sich weiterhin darum zu bemühen, dass das Cervantes künftig eine ähnliche Funktion wie das Goethe-Institut innehat.

Gastlandauftritt 2021 – fast fünf vor zwölf

Schließlich kommt das Gespräch auf den bevorstehenden Gastlandauftritt zu sprechen. Während beispielsweise Norwegen oder Georgien im Vorfeld Übersetzer*innen, Journalist*innen und Lektor*innen einluden, mit Autor*innen zusammenbrachten, Probeübersetzungen anfertigten und sonstige Maßnahmen veranlassten, um einen exzellenten Auftritt zu gewährleisten, kommt von Spanien nada. Wie Ibon Zubiaur polemisch in die Runde fragt: „Kann Spanien nicht das, was Georgien kann?“ Das Problem, hält Saskia von Hoegen fest, bestehe darin, dass der spanische Kulturraum so groß ist, dass das Bewusstsein, man müsse sich um die Leser*innen bemühen, nicht vorhanden sei. Das bestätigt auch Zubiaur und erzählt von seinem letzten Besuch in der spanischen Botschaft, bei dem er mit einem „Spanisch verkauft sich von alleine“ abgekanzelt wurde.

Ein weiteres Problem der spanischen Literatur ist, dass Stierkampf und Sangria keine Strahlkraft mehr haben (zum Glück!) – was Literatur aus Spanien aber alles sein kann und welche Themen behandelt werden, das wird nicht vermittelt. Das sagt auch Linus Guggenberger; Wagenbach ist einer der wenigen Verlage im deutschsprachigen Raum, die sich für Literatur aus Spanien interessieren. „Den großen Krisenroman habe ich nicht gefunden, Migration wird auch nicht verhandelt.“ Dann wendet er sich an Christian Hansen, der zuvor bemängelt hatte, nie von Verlagen nach Empfehlungen gebeten zu werden: „Wir sollten öfter telefonieren.“ Denn wie Ibon Zubiaur sagt: „Wenn Verlage wie Wagenbach oder Suhrkamp keine spanische Literatur finden, müssen wir uns wirklich Gedanken machen.“

Hispanistik-Koryphäen Michi Strausfeld und Dieter Ingenschay, die wie viele Übersetzer*innen, Agent*innen und Verlagsmitarbeiter*innen im Publikum sitzen, melden sich ebenfalls zu Wort. 1991, beim letzten Buchmessenauftritt Spaniens, gab es, so Ingenschay, im positivsten Sinne „Kollateralnutzen“ für die gesamte Hispanistik. Er vermutet, dass man in Spanien derzeit glaube, die Frankfurter Buchmesse sei wie die Feria del Libro in Madrid, bei der die Autor*innen „in Glaskästen sitzen und Bücher signieren“. „Der Zug ist abgefahren“, mahnt er, um für 2021 noch Großes auf die Beine zu stellen. Thomas Brovot sieht das nicht ganz so pessimistisch: Es sei noch Zeit für Übersetzungen, schließlich gibt es ja genug Übersetzer*innen.

¿Y ahora qué?

Das Fazit also des heutigen Abends: Es mangelt an der Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Dem deutschen Publikum muss peu à peu spanische Literatur wieder schmackhaft gemacht werden. Und es müssen unbedingt mehr Förderungen her. Gar nicht so leicht, denn, wie auch angemerkt wurde: Spanien hat im Moment nicht einmal eine Regierung.

Ein wenig Zeit für einen nicht katastrophalen Gastlandauftritt ist noch. Aber um den bis 2021 auf die Beine zu stellen und um den deutschen Leser*innen zu zeigen, wie vielfältig spanische (und katalanische und baskische und galicische) Literatur sein kann, ist jetzt wirklich höchste Eisenbahn.


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