
Schon lange haben Rechte den Feminismus für sich entdeckt – wenn auch nicht auf die Weise, wie man Feminismus für gewöhnlich versteht. Dadurch aber, dass die Linke es versäumte, sexualisierte Gewalt zu thematisieren, gelang es der Neuen Rechten, dieses Thema zu besetzen und mit Rassismus aufzuladen. Das ist, knapp formuliert, eine der Hauptthesen des Buchs „Frauen*rechte und Frauen*hass“, das vergangenes Jahr im Verbrecher Verlag erschien.
Was genau geschah, wie die aktuelle Situation aussieht, und warum Antifeminismus so gefährlich ist, analysieren Anna Berg, Judith Goetz und Eike Sanders als Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In). Mit ihnen sprach ich im Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin – dank der Premierenlesung am Tag vor dem Interview Mitte August 2019 mit dem Glücksfall, alle drei in einer Stadt anzutreffen, denn Judith Goetz lebt in Wien und Anna Berg in Hamburg.
Ihr habt dieses Buch als Autor*innenkollektiv geschrieben. Wie kam es dazu?
Anna Berg: Wir kennen uns alle über das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, sind aber nicht nur Arbeitskolleg*innen, sondern auch Freund*innen. Diese konkrete Zusammenarbeit kam zustande, als wir die Ereignisse rund um Chemnitz, Köthen, Kandel und die Frauenmärsche beobachteten. Uns fiel auf, dass eine genderkritische Perspektive fehlte. Dadurch entstand das Bedürfnis, in diese Debatten zu intervenieren und wir verfassten gemeinsam den Text „Toxische Männlichkeit von Kandel bis Chemnitz“. Durch die daran anknüpfenden Diskussionen und das viele gute Feedback, haben wir beschlossen, die andiskutierten Thesen zu vertiefen und zu einem Buch zu machen.
Wie genau hängen Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt zusammen, wie es im Untertitel heißt?
AB: Unser Ansatz war, diese beiden Aspekte zu beschreiben. Einerseits die Bereiche von Antifeminismus: Kämpfe um Begriffe, Kämpfe um Ressourcen, toxische Männlichkeit, Aufrechterhaltung einer binären Geschlechterordnung und Gewalt, die damit zusammenhängt. Und andererseits die starken rechten Mobilisierungen für Sicherheit im öffentlichen Raum und Sicherheit vor sexualisierter Gewalt – aber eben nur dann, wenn die Täter als migrantisch markiert sind.
Zu Beginn des Buches wählt ihr das Bild einer Therme, um die Entwicklung hin zu einer toxischen Männlichkeit darzustellen. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Eike Sanders: Wir haben versucht, deutlich zu machen, was toxische Männlichkeit heißt. Die Therme deswegen, weil es mehrere Becken sind, die zusammenhängen – um zu zeigen, dass die binäre Geschlechterordnung, in der wir schwimmen, hochproblematisch ist, und toxische Männlichkeit ein Becken mit der gleichen Soße, nur konzentrierter ist, in die man ganz schnell reinrutscht, wenn man sich nicht aktiv dagegen entscheidet. Es ist gemütlich, hineinzukommen, es ist gemütlich, im Becken zubleiben, aber es ist trotzdem Scheiße.
Judith Goetz: Die Analyse richtet sich nicht nur gegen die extreme Rechte und die Zuspitzung von bestimmten geschlechtlichen Identitätskonzepten, sondern soll aufzeigen, dass diese binären Geschlechterordnungen und damit verbundenen Vorstellungen in weiten Teilen auch in einer antifaschistischen Linken der Status Quo sind.
Ihr nennt Anders Breivik und den Terroristen von Christchurch als zwei Beispiele von Männern, die primär als islamfeindlich und rechtsextrem gelesen werden, aber auch antifeministisch sind. Worin besteht ihr Antifeminismus?
ES: Rechtsextremismus und insbesondere Rechtsterrorismus werden ausschließlich als männliches Phänomen gedacht. Ich habe die 1.500 Seiten des Manifests von Breivik überflogen und die Stellen gelesen, die für unsere Fragestellung relevant war. Ich war erstaunt, wie explizit der Antifeminismus darin ist. Bereits in der Einleitung steht, dass Feminismus ein Teil des großen Problems Kulturmarxismus sei. Das sagt implizit auch der Christchurch-Attentäter: Frauen* spielen in der „Flüchtlingsindustrie“ und der „Rassenmischung“ eine Rolle und sind besonders für den „Untergang des Abendlandes“ verantwortlich. An die weiße Frau* wird appelliert, weiße Kinder zu kriegen und keine Politik zu machen. Das heißt, aktive antifaschistische Feminist*innen verstoßen einerseits gegen die Rolle, die ihnen zugeschrieben wird, und werden in dieser rassistischen Dystopie andererseits als Kollaborateur*innen „des Bösen“ gesehen.
Das Gefahrenpotential, das von rechten Frauen* ausgeht, wird aus Sexismus selten erkannt. Stichwort Beate Zschäpe: Wie gefährlich ist das?
JG: Das ist mir ein riesiges Rätsel. Es existiert seit spätestens Ende der achtziger Jahren Forschung zu dem Themenbereich. Viele Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es rechte Frauen* gibt, die ernst genommen werden müssen. Und trotzdem ist es bis heute so, dass insbesondere in der medialen Berichterstattung so getan wird, als sei das etwas komplett Neues. Das wird von den Rechten gezielt eingesetzt, die Frauen* in bestimmte Bereiche vorschicken.
Weil sie als harmlos wahrgenommen werden.
JG: Genau. Sie werden geschickt in die Bereiche, in denen sie als nicht „bedrohlich“ registriert werden wie Nachbarschaftsinitiativen oder pädagogische Berufe, um Zugang zu Erziehungstätigkeiten zu bekommen. Uns war es wichtig, dieser Wahrnehmung etwas entgegenzuhalten und zu zeigen: Frauen* haben ein aktives Interesse und profitieren davon, wenn sie sich in rechten Kreisen engagieren. Das kann man nicht als Instrumentalisierung abtun, weil dadurch ihre Täter*innenschaft runtergespielt wird und keine entsprechenden Gegenstrategien entwickelt werden können.
Ihr sagt, dass Linke das Thema sexuelle Gewalt nicht ansprechen, teils, weil sie nicht rassistisch wirken wollen, wenn es um migrantisch markierte Täter geht, und teilweise, weil nicht reflektiert wird, wie weit der Sexismus in den eigenen Reihen verbreitet ist. Was können sie zukünftig tun, um nicht in die eigene Falle zu tappen?
JG: Ich habe das Gefühl, das viele Linke die Sicht des Post-Feminismus angenommen haben und sagen: Ja, Feminismus war mal ein wichtiges Thema, aber bei uns in der Gruppe sind alle gleichberechtigt, wir haben ja eine Frau als Pressesprecherin. Und damit ist das Kapitel abgehakt. Uns ging es vor allem darum zu zeigen, dass es für die extreme Rechte so leicht war, das Thema Frauen*rechte zu besetzen, weil sich Linke überhaupt nicht gekümmert haben, etwas gegen sexualisierte Gewalt zu unternehmen. Sie reagieren nur. Es gibt keine proaktiven Kampagnen, in denen sich Linke oder das linke parteipolitische Spektrum gegen sexualisierte Gewalt eintritt. Es sind viele Fehler gemacht worden. Der erste Schritt wäre, sich das einzugestehen und zu sagen: Wir haben auf ganzer Linie versagt. Und dann müssen wir dieses Thema auch wieder zu unserem Thema machen, zu einem linken Thema, und nicht zu einem, das so rassistisch aufgeladen wird.
AB: Ich glaube, es ist vielschichtig. Viele linke Gruppen haben in sehr langwierigen und schmerzhaften Prozessen versucht, Vergewaltigungsfälle oder sexuelle Übergriffe innerhalb der eigenen Szenen zu bearbeiten, was nie sonderlich gut funktioniert hat. Das ist zumindest ein Teil der Antwort, warum es so leicht ist zu sagen: Ah, die Emma und Alice Schwarzer sind keine Feministinnen, die sind total rassistisch und benennen sexualisierte Gewalt nur dann, wenn es um muslimische Täter geht, und sich dann selbst nicht mehr weiter damit zu beschäftigen. Dabei gehen die trotzdem da hin, wo es weh tut. Sie machen das zwar verkehrt, aber thematisieren es wenigstens.
JG: Es ist sehr einfach, die Schuld den anderen zu geben und nicht bei sich selbst anzufangen. Die Veränderung dieser Gesellschaft wird in einer Form auch einem selbst wehtun, weil man in Privilegienstrukturbestimteen eingebunden ist. Der Widerwille ist weit verbreitet.
Es fehlt also ein Maß an Selbstreflexion, um einen Schritt nach vorne gehen zu können.
JG: Oder erstmal ein paar Schritte zurück, um vorwärtszukommen.
Ein Fokus des Buches liegt auf Österreich. Ihr sagt, das Mobilisierungspotential zum Thema Frauen*rechte in Deutschland und Österreich sei unterschiedlich. Könnt ihr das genauer ausführen?
JG: Die Frauenmärsche in Österreich waren sehr schlecht besucht. Unsere These lautet, dass es diese Überbetonung von geschlechtsspezifischen Themen nicht mehr so sehr braucht, weil viele Leute eh antimuslimisch und rassistisch eingestellt sind und die FPÖ wählen.
AB: Während es in Deutschland besser als anschlussfähiges und übertragungsfähiges Thema funktioniert, weil Rassismus klarer der extremen Rechten zugeordnet wird und nicht der Mehrheitsgesellschaft, die sich selbst gerne als nicht rassistisch versteht. Deswegen bewirkt die Mobilisierung über Ethnisierung von sexualisierter Gewalt eine Öffnung.
Ihr analysiert auch die Silvesternacht von Köln…
AB: Köln war für die extreme Rechte ein riesiger Glücksfall, weil das eine unglaubliche Verbreitung des Themas bedeutet hat und der Strategie, gezielt spezifische Fälle von sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum in sozialen Medien zu verbreiten und zu skandalisieren, als sei das eine komplette Beschreibung des Phänomens. Diesen Versuch, die Unsicherheit von Frauen durch Migranten im öffentlichen Raum zu thematisieren, die Gefahr zu externalisieren, gab es schon ganz lange, aber so richtig an Fahrt aufgenommen hat das mit Köln im Zusammenspiel mit dem Summer of Migration 2015. Die beiden Narrative „Islamisierung der Gesellschaft“ und „verstärkte Unsicherheit im öffentlichen Raum“ werden da sehr gut verknüpft.
Ihr kommt mehrfach auf die Rolle der Medien zu sprechen, die teilweise zu unkritisch und unkommentiert über rechte Inhalte berichten. Was wünscht ihr euch?
JG: Mich stört total diese unglaubliche Faszination, die Medienvertreter*innen oftmals für Rechtsextreme und Neonazis haben, die sie interviewen oder porträtieren und dadurch permanent dieses menschenverachtende Gedankengut reproduzieren. Auffallend ist auch, dass nie Betroffene von diesen Ideologien zu Wort kommen. Ich wünsche mir eine Berichterstattung, die über Antifeminismus und über Rechtsextremismus schreibt und nicht mit.
AB: Ich habe den Eindruck, in den Leitmedien hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Feminismus ein Thema ist, das unglaublich polarisiert und bei dem es unheimlich leicht ist, mit wahnsinnig dumm-plakativen Aussagen Klickzahlen und Leser*innen zu erreichen. Viele Medien springen auf den Feminismus-Empörungs-Zug auf, delegitimieren dadurch Feminismus als politisches Anliegen und fördern das Werk des Antifeminismus.
Ihr schreibt in einem akademischen Duktus. Wer ist eure intendierte Zielgruppe? Und was hofft ihr, mit dem Buch erreichen zu können?
JG: Gestern bei der Lesung sagte die Moderatorin, dass sie den Schreibstil irgendwo zwischen Manifest, Antifa-Recherche und Wissenschaft verortet, und ich würde ihr da recht geben: Das alles steckt in dem Buch drinnen. Wir wollen alle erreichen, die dafür offen sind, sich für die Selbstreflexion zu den von uns angesprochenen Themen zu stellen.
AB: Ich würde mir wünschen, dass das Buch ein Handwerkszeug wird für Leute, die Antifeminismus als Problem erkennen, die das destruktive Potential von Antifeminismus als politisches Programm von sexualisierter Gewalt erkennen und das zum eigenen Thema zu machen. Es soll aber auch für Feminist*innen ein Handwerkszeug dafür sein, sich zu positionieren und aktiv antifaschistisch zu engagieren. Weil es nicht geht, Antifeminismus und Rassismus nicht zusammenzudenken.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dieses Interview erschien in leicht gekürzter Fassung bereits in der Ausgabe 05/2019 des Missy Magazine.
Hallo Isabella,
danke für dieses kritische Interview.
Der Meinung, „dass die Linke es versäumte, sexualisierte Gewalt zu thematisieren“, widerspreche ich.
Ohne diese Thematisierung gäbe es heute keine Frauenhäuser, Gleichstellungsbeauftragte und Aufmerksamkeit für häusliche Gewalt..
Gute Feiertage und herzliche Grüße
Bernd
LikeLike