Colson Whitehead – Harlem Shuffle

Ich persönlich habe gar kein Problem damit, übersetzte Bücher zu lesen, weil sie heutzutage fast immer sehr umsichtig und gekonnt ins Deutsche übertragen sind. Fast. Es gibt Ausnahmen. Nachdem ich mich vor einigen Wochen schon über die rassistische Übersetzung von James McBrides „Der heilige King Kong“ (btb) aufgeregt habe, ist jetzt leider Colson Whiteheads „Harlem Shuffle“ (Hanser) dran.

Was habe ich mich gefreut auf diesen Roman von Whitehead, der im Harlem der 1960er spielt! Und was ist die Übersetzung von Nikolaus Stingl für ein Griff ins Klo! Sie ist nicht so rassistisch wie die McBride-Übersetzung (wobei an einer Stelle das US-amerikanische N-Wort auch auf Deutsch übersetzt und somit aus dem soziokulturellen, historischen Kontext gerissen wird), sondern einfach unglaublich vermurkst.

Beispiele gefällig? „Sein Zellengenosse fragte ihn, was zum Teufel das sei, und er sagte ihm, das sei die Gegend, wo er aufgewachsen sei“, heißt es da, und „…eine fix und fertige Jazzsängerin, die um drei Uhr morgens mit den Teufelsversen im Mund aus einem Taxi purzelte“, Menschen haben Hotelzimmer „inne“, eine Familie „gurrte“ und „gluckte“ und es gibt ungelenke Sätze wie „Inzwischen hielt er eher Hof, als dass er irgendeinem Blödmann ein Stück Stahl an den Hals drückte, saß in der Bar des Hotel Theresa seinen Lakaien vor…“ oder „Weil er nach einem Revolvermann oder einem Kleiderschrank mit Ambosskinn und Fünf-Uhr-Bartschatten Ausschau hielt…“

Nikolaus Stingl versucht außerdem, eine Art Slang- und Zeitkolorit der 1960er zu kreieren, was darin resultiert, dass der Roman strotzt vor Ausdrücken wie „Scheckreiterei“, „Stubenfliegenverkehr“, „Katalogbraut“, „Mußezeiten“, „Gimpel“ und „Schnabel anfeuchten“. Es klingt alles vollkommen unnatürlich. Und das sind nur ein paar Beispiele der vielen, die man nennen könnte; noch dazu gibt es Übersetzungsfehler, wie Peter Hintz Ende des Monats in einer ausführlichen Analyse für 54books aufdröseln wird (ich verlinke den Text dann hier).

Dazu kommt die Tatsache, dass der Roman einen knappen Monat _vor_ der US-Veröffentlichung auf Deutsch erschienen ist. Warum die Eile? Warum nicht mehr Zeit lassen mit dem Lektorat, das Buch ein, zwei Monate später statt vorher publizieren?

Klar, Lektor*innen haben es mit Übersetzer*innen nicht immer leicht, das habe ich während meiner Verlagszeit selbst sehr unangenehm erfahren müssen. Ich weiß, wie schwierig Übersetzer sein können, vor allem, wenn sie ein gewisses Alter und Renommee haben, wie schwierig es also ist, große Änderungen am Text vorzunehmen. Aber diese Katastrophe zu veröffentlichen, das kann doch weder im Interesse von Hanser noch in dem von Nikolaus Stingl sein. Für Colson Whitehead tut’s mir richtig leid, denn dieses Buch auf Deutsch zu lesen ist ein einziger Frust.

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Colson Whitehead – Harlem Shuffle
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Hanser Berlin
384 Seiten, August 2021


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