Bov Bjerg – Auerhaus

Bov Bjerg FilterMit „Auerhaus“ gelingt Bov Bjerg die Meisterleistung, eine tragische Geschichte locker und witzig zu erzählen, ohne salopp zu werden.

„Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied.“ Wie nebenbei fällt dieser Satz am Ende eines Kapitels im ersten Drittel von Bov Bjergs Roman. Die Beiläufigkeit ist nur vorgetäuscht, bringt der Satz doch den Inhalt auf den Punkt: Die Aussage stammt von Frieder. Frieder wurde nach einem Suizidversuch von seinem Vater gefunden und gerettet, der den Keller, in dem Frieder lag, rein zufällig auf der Suche nach einer Axt betrat. „Die Axt hat dir das Leben gerettet“, stellt sein bester Freund Höppner, zugleich Ich-Erzähler, fest. Frieders trockene Antwort: „Eine Axt, die gar nicht da war. Scheißaxt.“ Wollte Frieder wirklich sterben? Er scheint es selbst nicht genau zu wissen.

Frieder, Höppner und zwei Mitschülerinnen Klasse ziehen zusammen in ein Haus, das getreu dem Madness-Lied bald Auerhaus getauft wird. Zu dritt wollen sie Frieder davon abhalten, weitere Gedanken an seinen Selbstmord zu verschwenden. Später gesellen sich noch ein bisexueller Grasdealer und eine Pyromanin und ehemalige Patientin aus Frieders „Klapse“ zu ihnen ins Auerhaus. Die sechs ungleichen WG-Bewohner sind gerade erst 18, führen jetzt aber „ein richtiges Leben mit Aufstehen und Frühstückmachen“. Sie wollen dem klassischen Lebensweg im Sinne von Geburt – Schule – Arbeit – Tod, der ihrer Generation vorprogrammiert scheint, entfliehen. Die Freiheit, die die sechs verspüren, ist dennoch trügerisch. Ich-Erzähler Höppner ist sich schon früh bewusst, dass ihre gemeinsamen Tage begrenzt sind. Und so leben die sechs ihr Leben als Drahtseilakt, zwischen Abiturstress und Angst vor der Bundeswehrmusterung, bringen sich gegenseitig das Klauen bei, kiffen, schmeißen die größte Silvesterparty des Dorfes und versuchen währenddessen krampfhaft, sich an ihre Jugend und vor allem an ihre mentale Stabilität zu klammern.

Trotz dieser Themen ist „Auerhaus“ kein typischer Coming-of-Age-Roman. Die Sprache ist kontinuierlich in einem trockenen Stil gehalten, zugleich lakonisch und doch philosophisch, humoristisch und resigniert. Gänzlich unverkrampft gelingt es Bov Bjerg mit den präzisen Beobachtungen seiner Figuren und ihren authentisch klingenden Dialogen, sowohl den Nerv jugendlicher als auch erwachsener Leser zu treffen.

Der Crash innerhalb des Romans ist vorprogrammiert, geschieht am Ende aber weniger spektakulär als erwartet. Überhaupt sind alle Ereignisse im Auerhaus wenig spektakulär, was dem Roman trotz seiner depressiven Grundstimmung zu einer Leichtigkeit verhilft, die deutschsprachigen Autoren selten gelingt. Auf seinen nur 236 Seiten schafft es „Auerhaus“, tiefgründige Themen zu vereinen und zugleich tragisch wie lustig zu sein. „Ich hatte es versucht“, blickt der erwachsene Erzähler auf die Zeit im Auerhaus und die Zukunft seiner Bewohner zurück. „Aber wenn ich ein anderes Ende simulierte, kam bloß eine geheilte Welt dabei raus. In meinem Zukunftssimulator gab es keine Abstürze, keine Verletzten und keine Toten. […] Im richtigen Leben waren die Landungen härter.“ Und nie wurden harte Landungen so schön erzählt wie in diesem Roman.

Dies ist eine bearbeitete Fassung der bereits auf Glanz & Elend veröffentlichten Rezension.

Bov Bjerg – Auerhaus
Blumenbar, Berlin
Juli 2015, 236 Seiten

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